Vorwort
Meine Arbeit beschäftigt sich mit Isang Yuns musikalischen, aber auch beiläufig mit seinem politischen Wirken. Als Wanderer zwischen den Kulturen seiner Heimat Korea und seiner zweiten Heimat Deutschlands verstand er es wie kein anderer, östliche Musik mit der westlichen Avantgarde zu verbinden. Seine Musik ist eine Verschmelzung chinesisch-koreanischer Hofmusik mit europäischer Neuer Musik. Was macht aber die Besonderheit seiner Kompositionen aus? Um dieser Frage nachzugehen, muss aber auch näher auf sein Leben eingegangen werden, welches stets ein Spagat zwischen seinen koreanischen Wurzeln, politischem Engagement und der europäischen Avantgarde war. Obwohl Yun seine größten Erfolge in Europa feiern konnte, hat er immer betont, dass es in seinen Werken stets ostasiatische Einflüsse gegeben hat. Vielleicht macht gerade diese Mischung die Besonderheit seiner Werke aus. Aber nicht nur seine Musik allein, sondern auch sein bewegtes politisches Leben und dessen Einfluss auf seine Kompositionen sind für mich von großem Interesse.
Im analytischen Teil lege ich persönlich als Sänger den Schwerpunkt auf Yuns vier Opern. Seine zweite Oper Die Witwe des Schmetterlings schrieb Yun sogar in politischer Gefangenschaft. Dieses Werk ist aber nicht das einzige Werk das einen politischen Bezug hat. Yun betonte stets, Komponist zu sein, konnte seine politischen Ambitionen aber nie Beiseite schieben. Seine ersten Erfolge feierte Yun in den 60er Jahren und ließ stets asiatische Elemente in seine Kompositionen einfließen. Man könnte meinen, Yun habe, wie in seinen anderen Werken auch, in seine Opern ostasiatische Elemente einfließen lassen. Doch waren es immer die Auftragsgeber, die nach einer Oper mit asiatischer Thematik begehrten.
Yun Isang und seine Oper
Isang Yun, der 1917 in einem Korea geboren wurde, das sich damals unter japanischer Fremdherrschaft befand, wollte nie ein politischer Mensch sein. Doch sein Drang nach Freiheit und seine von den Japanern unterdrückte koreanische Identität führten dazu, dass er sich im anti-japanischen Widerstand engagierte und darauf hin verhaftet und gefoltert wurde. Seine zweite politische Erfahrung machte er in den späten sechziger Jahren als er nach dem Koreakrieg und der damit verbundenen Teilung Koreas. Wieder hatte das Land zu leiden und nach der Machtergreifung Park Chun-Hees durch einen Militärputsch in Südkorea reiste Yun mit dem Wunsch nach Nordkorea das Land wiederzuvereinigen und wieder zu demokratisieren. Diese Reise wurde ihm als Landesverrat angelastet und Yun wurde daraufhin vom südkoreanischen Geheimdienst aus Westberlin entführt. In einem Schauprozess wurde er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Und auch nach seiner Begnadigung auf internationalen Druck engagierte sich Yun stets für die Demokratisierung seines Landes und die Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas. Musikalisch spiegelt sein Werk „Exemplum“ seine Solidarität mit den Studentenaufständen gegen das Militärregime Südkoreas wider, die ihren Höhepunkt in Kwangju 1980 fanden, als diese gewaltsam unterdrückt wurden.
In jungen Jahren wagte Isang Yun den gewagten Schritt nach Japan, da er der Meinung war, dass er nur dort Zugang zur westlichen Musik finden könne. Nach Ende des 2. Weltkrieges arbeitete er in Seoul bis er 1956 nach Paris und Berlin übersiedelte und schaffte 1966 mit dem Orchesterstück Réak den internationalen Durchbruch.
Bereits seit 1876 versuchte Japan durch einen ungleichen Vertrag Korea zu kolonialisieren. Nachdem sich das koreanische Volk noch einige Jahrzehnte erfolgreich mit Hilfe der damaligen Schutzmacht China zur Wehr setzen konnte, erlangte Japan durch seine waffentechnische Überlegenheit und den Sieg über Russland die alleinige Vorherrschaft auf der koreanischen Halbinsel und annektierte Korea 1910.[1] Yun wuchs in einem Korea das von Japan rigide kolonialisiert wurde und von Kindheit an musste Yun erleben, wie sein Volk politisch unterdrückt und kulturell japanisiert wurde. Trotzdem hegte er den Wunsch in Japan Musik zu studieren, weil er der Auffassung war, dass er nur dort in Kontakt mit der westlichen Musik kommen könne. Gegen den Willen seines Vaters geht Yun nach Osaka um Musik zu studieren.
[1] Heister, Hanns-Werner; Sparrer,Walter-Wolfgang (Hg.): Der Komponist Isang Yun. Edition text + kritik GmbH , München 1987. S.40
Isang Yun wurde am 17. September 1917 in San Chung Gun im Süden Koreas als ältester Sohn einer Bauerntochter und des Dichters Yun Ki-Hyun geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und, um dem Wunsch seines Vaters entsprechend Kaufmann zu werden, besuchte Yun die Handelsschule in Tong Yang. Weil er Komponist werden wollte, ging Yun nach Osaka und studierte Cello und Musiktheorie. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt im Jahre 1936 und einer kurzen Lehrtätigkeit als Volksschullehrer ging er abermals nach Japan, um in Tokyo bei Tomojiro Ikenouchi Komposition zu studieren. Er kehrte nach Korea zurück und mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges engagierte er sich aktiv in der anti-japanischen Widerstandsbewegung. 1943 wurde er deshalb von den Japanern zum ersten Mal verhaftet. Yun sagte einmal: „…er wäre bereit gewesen für die Freiheit seines Landes zu kämpfen und zu töten, aber das Schicksal hat ihn davor bewahrt, Menschen zu töten.“[1] Nach Ende des 2. Weltkrieges leitete er für ein Jahr ein Waisenhaus in Pusan, ist ein weiteres Jahr war er Musiklehrer in seiner Heimatstadt und ging dann wieder nach Pusan zurück, um dort an der Pädagogischen Hochschule und an der Oberschule Musik zu unterrichten. 1950 heiratete er Soo-Ja Lee, aus deren Ehe eine Tochter und ein Sohn hervorgingen.
[1] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 7
2.3. Politische Gefangenschaft
2.4. Rehabilitation und Rückkehr nach Europa
3.1. Yuns kompositorische Entwicklung in Europa (1960-1971)
Sucht man den frühesten Spuren eines symphonischen Projektes bei Yun, so trifft man schon ziemlich zu Beginn seines Weges in Europa auf das Orchesterstück Symphonische Szene aus dem Jahre 1960.[1] Dieses Stück ist deshalb so bemerkenswert, da sich Yun für dieses Stück eine Vorlage gewählt hat, das man als Schlüsselerlebnis seiner Kunst betrachten kann. Yun berichtet von Fresken eines nordkoreanischen Königsgrabes, welches er auch bei einem seiner Nordkorea-Reisen besuchen konnte.[2] Es handelt sich um ein Gleichnis taoistischer Philosophie, dessen Einfluss in seinen Werken maßgebend ist.
In den späten 50er und Anfang der 60er Jahre komponierte Yun Fünf Stücke für Klavier (1958), Musik für sieben Instrumente (1959), Streichquartett Nr. 3 (1959), Bara (1960), Colloides sonores (1961), Loyang (1962), Garak (1963), Gasa (1963), Nore, Fluktuationen und Om mani padme hum (alle 1964). In seinem Stück Fluktuationen versucht Yun den Klangcharakter koreanischer Instrumente einzufangen. Die Titel der einzelnen Sätze – I. Hogung (zweiseitige, gestrichene Fidel); II. Gomungo (sechssaitige, gezupfte Zither) und III. Yanggum (Hackbrett) – verweisen so je auf ihre asiatischen Vorbilder.[3] Im Jahre 1965 entstand die erste von 4 Opern Der Traum des Liu-Tung auf die später noch genauer eingegangen wird. Mit Réak (1966) gelang Yun der internationale Durchbruch. Dieses Stück für Orchester wurde am 23. Oktober 1966 in Donaueschingen uraufgeführt. Im selben Jahr enstand Shao Yang Ying (1966) und im Jahr darauf Tuyaux (1967).
Als er 1967 vom südkoreanischen Geheimdienst aus Berlin entführt wurde und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hielt dies Yun nicht davon ab weiterzukomponieren. Während seiner Haft entstanden Ein Schmetterlingstraum, Riul, Images und seine zweite Oper Die Witwe des Schmetterlings (alle 1968). Obwohl die Ereignisse seiner Entführung und Inhaftierung einen tiefen Einschnitt im persönlichen wie im künstlerischen Werdegang Yuns bedeuteten und er unerschütterlich weiterkomponierte, treten in seinen weiteren Werken merkliche Veränderungen hervor.[4] Diese Umorientierung findet auch in der vermehrten Hinwendung zur traditionellen Form des Solokonzerts statt.
3.2. Solowerke und Instrumentalkonzerte (1970 – 1981)
[1] Metzger, Heinz-Klaus; Riehn Rainer (Hg.): Isang Yun. Die fünf Symphonien. Musik-Konzepte. Die Reihe über Kompositionen. Heft 109/110. München 2000 S. 10
[2] Rinser, Luise; Yun, Isang: Der verwundete Drache. Dialog über Leben und Werk des Komponisten. Franfurt/Main 1977. S. 77-79
[3] Metzger/Riehn: Isang Yun. Die fünf Symphonien. S. 11
[4] Metzger/Riehn: Isang Yun. Die fünf Symphonien. S.14
3.3. Die späten Werke und seine Symphonien
Ab den 80er Jahren komponierte Yun weiter zahlreiche Solo- oder Kammermusikstücke wie Interludium A für Klavier (1982), Monolog für Bassklarinette, Concertino für Akkordeon und Streichquartett, Sonatina für 2 Violinen, Inventionen für 2 Oboen (alle 1983) oder Monolog für Fagott (1983/84). In dieser Zeit entstand aber auch das erste seiner fünf Symphonien. Yun meinte über seine erste Symphonie Nr.1 (1982/83), dass dessen Ausgangspunkt bei jenen Erfahrungen und Bedrohungen, die das politische Klima der frühen 80er Jahre geprägt und überschattet hatten, lag. Es folgen weitere Werke wie sein Konzert für Violine und Orchester Nr.2 (1983), Duo für Violoncello und Harfe, Quintett für Klarinette und Streichquartett und Gong-Hu. Die Symphonie Nr.2 ist von Yuns fünfteiligem Symphonie-Zyklus die am Kleinsten besetzte und „in Stil und Ausdruckshaltung“[1] grundlegend verschieden zu seiner ersten Symphonie. Dümling bezeichnet die zweite Symphonie Yuns als „positives Gegenbild“ und äußert Zweifel an der Berechtigung des Titels Symphonie: „Eher handelt es sich um eine koreanische Annäherung an die europäische Symphonietradition, um einen Beitrag zu einer eigenständigen koreanischen Symphonik.“[2] Es folgen weitere Kammermusikwerke wie Li-Na im Garten (1985), Mugung-Dong, Rencontre, Quartett für Flöten, Quintett für Flöte und Streichquartett, Impression (alle 1986), In Balance und Kontraste (beide 1987). In die späten 80er Jahre fallen auch seine restlichen Symphonien Nr.3 bis 5. Zur Symphonie Nr. 3 (1985) erklärte Yun: „Wie auch in anderen Stücken habe ich die Menschen durch meine Musik etwas zur Besinnung bringen wollen, etwa durch meine dritte Symphonie, welche menschliche Blindheit und Egozentrismus bloßstellt.“[3] Im Programm zur Uraufführung seiner vierten Symphonie in Tokyo 1986 ist zu lesen, dass der erste Satz als eine Schilderung der vielfältigen Konflikte im menschlichen Zusammenleben zu deuten ist. Beim komponieren des zweiten Satzes hat Yun „an die asiatischen Frauen gedacht, die von der Männergesellschaft missachtet und unterdrückt werden.“[4] Die letzte seiner fünf Symphonien (1987) ist dahingehend anders, als dass es sich um eine Symphonie-Kantate handelt. Hatte sich Yun bei seinen Opern taoistischer Sujets bemächtigt und stammten viele Vorlagen zu seinen Vokalwerken aus religiösen Bibelstellen oder buddhistischen Gebetsformeln, so waren in den 80er Jahren die Texte Nelly Sachs’ Yuns kompositorische Vorlagen. Die beiden Vokalwerke Mein Land, Mein Volk (1987) und Engel in Flammen (1994) sind neben Exemplum die einzigen Werke, die einen im engeren politischen Inhalt haben; sich also entweder auf konkrete Ereignisse der jüngeren koreanischen Geschichte beziehen und/oder deutlich eine propagandistische Absicht verfolgen.[5]
[1] Dümling, Albrecht: Zerstörte und wieder gefundene Schönheit. Zwei Symphonien von Henze und Yun in Berlin aufgeführt. In: Neue Musikzeitung Bd. 34, Heft 1. (1985). S. 6
[2] Dümling: Zerstörte und wieder gefundene Schönheit. S. 6
[3] Yun, Isang: Über meine Musik. Vorlesungen an der Salzburger Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Mozarteum, Salzburg. 1994. S. 301
[4] Metzger/Riehn: Isang Yun. Die fünf Symphonien. S.108
[5] Metzger/Riehn: Isang Yun. Die fünf Symphonien. S. 102
In den Jahren von 1965 und 1972 hat Yun, teilweise in Gefangenschaft, insgesamt vier Opern komponiert und in erster Linie für die Bühnen des deutschen Sprachraumes geschrieben. Diese beruhen auf deutschen Originallibretti, in denen ostasiatische Stoffe für den musikdramatischen Zweck bearbeitet wurden.[1] Das geistige Fundament Yuns Musik war stets der Taoismus, die Philosophie vom Sein und Werden, wie er selbst einmal sagte.[2] Die Auseinandersetzung mit Tao ist unerlässliche Voraussetzung für das musikalische Schaffen Isang Yuns.
Obwohl die beiden ersten Opern Der Traum des Liu-Tung und Die Witwe des Schmetterlings voneinander unabhängige Opern darstellen, wurden sie oft unter dem Titel Träume zu einer Doppeloper zusammengefasst.
Im Herbst 1964 kehrte Isang Yun aus Westdeutschland nach Berlin zurück. Die deutsche Oper Berlin gab damals Gastspiele in Korea und Japan und man war von der fernöstlichen Kultur so angetan, dass man dem Spielplan 1965 einen ostasiatischen Akzent geben wollte. Die Dramaturgie der Deutschen Oper Berlin schlug ursprünglich vor, eine zeitgenössische Variante des japanischen Nô-Theaters zu vertonen. Isang Yun fand jedoch keine künstlerische Beziehung zu dem Stoff und erklärte, er wolle lieber ein Thema aus dem, der koreanischen Tradition verwandteren, chinesischen Kulturkreis behandeln.[3] Als Vorlage wählte man eine deutsche Übersetzung eines der Lehrstücke des chinesischen Dramatikers und Lyrikers Ma Chi-Yuan., der im 14. Jahrhundert n. Chr., also während der mongolischen Fremdherrschaft lebte und sich viele Dichter in die Gedankenwelt des Taoismus flüchteten.
Die Geschichte des konfuzianischen Studenten, der durch ein Traum-Erlebnis zum Tao-Juüger bekehrt wird, durfte einem europäischen Publikum nicht allzu fremd sein; gibt es doch mehrere Parallelen zu europäischen Dramatikern wie Calderon de la Barca, Grillparzer oder Adolphe Adam.
[1] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 95
[2] Rinser/Yun: Der verwundete Drache. S.75
[3] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S.96
Winfried Bauernfeind, der Regisseur der Uraufführung, kürzte Hans Rudelsbergers Übersetzung und fügte einige Arientexte hinzu, um die weibliche Hauptpartie zu erweitern.[1] Die Handlung der Oper ist in ein Vorspiel, vier Traumbilder und ein Nachspiel gegliedert.
l Liu-Tung
Stimme: Hoher Bariton
Charakter: ehrgeiziger junger Student, der weltliche Karriere machen möchte
l Tung-Hua
Stimme: Bass
Charakter: Ein Gott
l Ching-Yang
Stimme: Bariton
Charakter: von Tung-Hua beauftragter Eremit, der Liu-Tung zum Taoismus bekehren soll. Er erscheint Liu-Tung in jedem seiner Träume als eine andere Person.
l Pien-Fu
Stimme: Tenor
Charakter: Händler, der in derselben Herberge wie Liu-Tung übernachtet. Erscheint ebenfalls in den Träumen.
l Yü-Chan
Stimme: Sopran
Charakter: Frau des Pien-Fu. Erscheint im ersten Traum als Frau des Liu-Tung
l Frau Wang
Stimme: Mezzo-Sopran
Charakter: Besitzerin der Herberge. Alte Frau im vierten Traum.
l Chor der Himmlischen
Stimme: Chor
Charakter: Chor
Das Vorspiel beginnt im Himmel, wo der Gott Tung-Hua, umringt vom Chor der Himmlischen, den Eremiten Ching-Yang beauftragt, den Studenten Liu-Tung von „seinem weltlichen Karrieredenken abzubringen und zum Tao zu bekehren.“[2] Auf dem von Honan-Fu zur kaiserlichen Hauptstadt, wo Liu-Tung in einem Wettbewerb Ruhm und Ehre einlegen möchte, trifft er in der Herberge der Frau Wang auf den Händler Pien-Fu mit seiner Frau Yü-Chan und auf Ching-Yang. Letzterer stellt Liu-Tungs Ziele in Frage und verweist auf die höheren Werte des Tao. Gleichgültig legt sich Liu-Tung schlafen und durchlebt in einem Traum achtzehn Jahre seines Schicksals.
Im ersten Traum sieht Liu-Tung sich als junger Offizier und mit Tsui-Wo (= Yü-Chan), der Tochter des Hofbeamten Kao (= Ching-Yang), verheiratet. Er verabschiedet sich von seiner Frau, um in den Krieg zu ziehen. Tsui-Wo überreicht ihm das ruhmreiche Ahnenschwert und Kao bietet ihm bitteren Wein an, um Liu-Tung zu warnen. Liu-Tung schwört, nie wieder zu trinken.
In der zweiten Vision ist Tsui-Wo allein. Zunächst voller Sehnsucht nach Liu-Tung, umarmt sie später ihren Liebhaber Kuei (= Pien-Fu). Als Liu-Tung das Liebespaar erwischt, flieht Kuei und Liu-Tung will seine untreue Frau töten. Ein alter Diener (= Ching-Yang) kann ihn aber von diesem Vorhaben zurückhalten und um seiner Kinder willen soll er dem Hass entsagen. Ernüchtert schwört Liu-Tung dem Hass und der Liebe ab.
Aus Habgier verrät Liu-Tung im dritten Traum einen Kriegsplan und landet vor Gericht und wird durch den Oberrichter (= Ching-Yang) zum Tode verurteilt. Als er zur Hinrichtung geführt wird erscheint der Mönch Ching-Yang und entreißt den Delinquenten den Armen des Henkers (= Pien-Fu) mit den Worten, nur die Götter dürfen Liu-Tung richten, weil er ihnen gehöre.
In der vierten Vision irrt der Verbannte hungernd umher und wird von einem Holzfäller (= Ching-Yang) auf die Tröstungen des Tao hingewiesen. Liu-Tung begreift die Hinweise aber noch immer nicht. Er bittet eine alte Frau (= Wang) um eine Tasse Tee; in dem Moment erkennt deren Sohn (= Ching-Yang) den Flüchtling und erschlägt ihn.
Im Nachspiel erwacht Liu-Tung aus seinem Alptraum und sieht in der Herberge alle Figuren seiner Visionen. Liu-Tung wird bewusst, „dass sein erträumtes Schicksal nur Illusion war, dadurch die sein Ehrgeiz zunichte wurde und seine Wünsche sich als sinnlos erwiesen.“ Liu-Tung folgt, bekehrt zu den Lehren des Tao, daraufhin dem Eremiten.
Der Komponist hat für seine Oper sechs Gesangssolisten, Kammerchor und eine kleines Orchester vorgesehen: zwei Flöten und zwei Oboen, ein Klarinette und ein Fagott (alle Holzbläser mit Wechselinstrumenten), zwei Hörner, je eine Trompete, Posaune und Tuba, Pauken, Schlagzeug, Harfe und kleines Streichorchester. Der Chor kann unsichtbar bleiben oder vom Tonband übertragen werden. Trotz der Beschränkung des Orchesterapparates arbeitet Yun mit einer Art Leit-Instrumentation. Den Himmlischen und dem Eremiten sind die tiefen Register des Blechs zugeteilt. Der lyrische Monolog von Tsui-Wo wird von hohen Holzbläsern begleitet. Das Urteil des Oberrichters erinnert mit zischenden Becken, mit Trommeln, Tam-Tam und Pauken an eine Gerichtsszene der Peking-Oper.[3]
Das Vorspiel setzt mit einem klaren, feierlichen Hauptton-Akkord ein. Es soll die Harmonie des Himmels verkörpern.
Nun folgt der erste Auftritt Liu-Tungs. Er ist reich an verzierter Ornamentik. Während Ching-Yang Liu-Tungs Träume herbeiruft schwankt seine Stimme zwischen Gesang und Sprache. Durch die Anwendung bisher nicht genutzter Mittel suggeriert Yun nun den Weg in die Traumwelt mit rein instrumentalen Mitteln: Eine pausenlos repetierende rhythmische Gestalt rafft die Zeit zusammen und die Traumdimension wird mit einem starren Akkord erreicht.[4] Dieser Abschnitt wird mit einem Paukensignal beendet, so wie der Mehrpeitschenschlag Bak in der koreanischen Hofmusik Anfang und Ende eines Stückes kennzeichnen.
Yü-Chan tritt als erste Person in seinem Traum auf: Tsui-Wo, seine Ehefrau und die Mutter seiner Kinder. Erstmals sind expressive Lyrik, sängerische Virtuosität und kulinarische Klangschönheit wahrnehmbar. In großen Bögen schwingt Tsui-Wo ihre melismenreiche und dynamisch vielgestaltige Stimme. Der Abschied Tsui-Wos gestaltet sich abwechslungsreich: schwermütige Harmonien werden bei der Übergabe des Ahnenschwertes von einem strahlenden Pathos abgelöst.
Das Nachspiel der ersten Vision wird von Schlagzeugpassagen und Piccoloflöte begleitet. Sie schildern die Schlacht in der Liu-Tung Ruhm und Ehre sucht. Tiefe Streicherakkorde beruhigen dieses Schlachtszenario und leiten über zum zweiten Traum. Ein Englischhorn kündigt den Liebhaber Kuei ein. Sein Tenor und Tsui-Wos Sopran fügen sich zu einem harmonischen Duett zusammen, das abrupt abgebrochen wird. Blechbläser-Staccato und hektische Sechzehntel-Läufe beschreiben Liu-Tungs rasende Eifersucht. Erst der Gedanke an seine Kinder, die durch zwei Solo-Violinen charakterisiert werden, beruhigt sich Liu-Tung und die mutlosen Töne des Kontrafagotts und der Bassklarinette beenden die zweite Vision.
Das dritte Traumbild erinnert musikalisch an eine chinesische Oper. Es wird viel Schlagwerk mit Piccoloflöte kombiniert und durch Basstuba kontrastiert. Liu-Tung steht vor Gericht und erwartet sein Urteil. Die Henkerszene wird durch dramatische Akzente gekennzeichnet, bevor er durch Ching-Yang befreit wird.
Die nächste Szene beginnt mit Liu-Tungs Klagen, die von der Altflöte begleitet werden. Er irrt herum und trifft auf den Holzfäller. Die Stimmung wird unruhig und Kontrafagott, Solo-Violine und Piccoloflöte steigern sich zu einem Furioso. Blechbläser kündigen den Mörder an, der Liu-Tung erschlägt. Am Höhepunkt dieses Tumultes erwacht Liu-Tung aus dem Alptraum. Die Musik ist wieder nüchtern und hat sich beruhigt, sie signalisiert die Realität wieder.
Im Nachspiel findet sich Liu-Tung in der Herberge wieder, wo er eingeschlafen war. Ching-Yang deutet ihm, dass er es war der ihm in seinen Visionen als Gestalt des Schwiegervaters, des Dieners, des Richters, des Holzfällers und des Mörders erschienen ist. Während dieser Aufzählung rekapituliert die Musik und die Motive der betreffenden Szenen. Liu-Tung begreift nun, dass er im Traum der Führung des Eremiten folgte und geht mit Ching-Yang den Weg des Tao“. Die tiefen Akkorde der Bläser und Streicher beenden die Oper.
4.2. Die Witwe des Schmetterling
Yun hatte nach dem Erfolg seiner ersten Oper den Wunsch, eine Folgeoper zu komponieren. Gemeinsam mit seiner ersten Oper Der Traum des Liu-Tung ergänzte sich seine zweite Oper unter dem Titel Träume zu einem vollständigen Theaterabend. Die musikalische Besetzung sollte in etwa der ersten Oper das Gleichgewicht halten. „Den geistigen Zusammenhang sollte die Welt des Taoismus bilden, dem Yang-Stueck Liu-Tung ein Yin-Werk folgen. Analog der europäischen wie der asiatischen Theatergeschichte, z.B. Tragödie und Satyrspiel oder Nô und Kyôgen, sollte das zweite Stück eine Komödie werden.“[5] Die Vorlage für Yuns zweite Oper beruht auf der pseudo-biographischen Erzählung Tschuang-Tse, auf einem Kübel trommelnd, übt hohe Magie aus der Novellensammlung Kin ku ki kwan (Ming-Dynastie). Die Vorlage stammt aus der Welt des späten, volkstümlich-magischen Taoismus.
Im Schmetterlingstraum aus dem Buch Tschuang-Tse (4. Jhdt. v. Chr.) erzählt, wie Tschuang-Tse träumt, er sei ein Schmetterling, wisse aber nicht, ob er nicht umgekehrt ein Schmetterling sei, der träume, Tschuang-Tse zu sein. Tschuang-Tse deutet diesen Traum als Wunsch nach persönlicher Freiheit, und die Lösung von den Bindungen der Welt bedeuten für den Helden der Komödie die vor allem die Lösung von seiner Ehefrau. Um diese Novelle für das Musiktheater tauglich zu machen, bediente man sich einiger kleiner Veränderungen. Der scheinbar tote Tschuang-Tse verwandelt sich nicht in den Liebhaber Prinz Fu, sondern Prinz Fu wurde zu einem eigenen Charakter und Frau Tiän erhängt sich am Ende nicht, sondern flieht mit ihrem Liebhaber und seinem Diener. Des Weiteren verwandelt sich Tschuang-Tse in der Finalszene der Oper in einen Schmetterling, während die Novelle damit endet, dass Tschuang-Tse sein Haus verbrennt und seinem Meister Laot-Tse in das Reich des Unbekannten folgt.
Tschuang-Tses Verwandlung in einen Schmetterling wird von einem Zauberchor begleitet, der folgenden Text auf Chinesisch singt:
„Hundert Jahre Licht und Schatten
Sind wie der Traum eines Schmetterlings.
Was vergangen ist, wird Nichts,
richtet man den Blick zurück.
Heute ist Frühling,
morgen sinkt die Blüte welk.
Lasst uns trinken,
bevor die nächtliche Lampe erlischt!“
Dieses Gedicht stammt von Ma Chi-Yuan, der Originalautor des Liu-Tung. Der Inhalt des Gedichtes stellt keine zufällige Duplizität dar, sondern stellt so einen inhaltlichen Zusammenhang her. Die Gesamtaussage beider Opern ist, dass das Leben ein Traum ist. Alles ist vergänglich.
[1] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 96
[2] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 97
[3] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 98
[4] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 98
[5] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S.101
l Lao-Tse
Stimme: Tenor
Charakter: Meister
l Tschuang-Tse
Stimme: Bariton
Charakter: Schüler des Lao-Tse
l Frau Tiän
Stimme: Mezzosporan
Charakter: Ehefrau des Tschuang-Tse
l Prinz Fu
Stimme: hoher Bariton
Charakter: Geliebter der Frau Tiän
l Diener
Stimme: Bass
Charakter: Alter Diener des Prinzen
l Junge Witwe
Stimme: lyrischer Sopran
Charakter: Trauert am Grab um ihren Mann
l Friedhofsbesucher, Geister
Stimme: Chor
Charakter: Chor
Die Witwe des Schmetterlings hat wie der Liu-Tung sieben Teile: drei Hauptszenen mit vier Zwischenspielen.
Die erste Hauptszene wird mit dem chinesischen Gedicht von Ma Chi-Yuan eingeleitet. Gesungen wird es vom unsichtbaren Chor. Tschuang-Tse besucht seinen Meister Lao-Tse in dessen Hütte, um ihm von seinem immer wiederkehrenden Traum zu erzählen: Er glaube, ein Schmetterling zu sein, und er genieße die Freiheit, bis seine Frau Tiän ihn aus den Träumen wecke. Lao-Tse deutet ihm den Traum und meint, dass Tschuang-Tse eine Wiedergeburt des Schmetterlings Tschuang, der vor Urzeiten im Paradiesgarten der Muttergöttin Hsi Wang-Mu Blütenstaub naschte und zur Strafe von deren Phönix aufgespießt wurde. Weiters behauptet der Meister, dass wenn Tschuang-Tse sich von allen Bindungen befreit, er wieder zum Schmetterling werde. Anfangs ist Tschuang-Tse begeistert von dieser Deutung seines Traumes, doch da fällt ihm seine Frau Tiän ein und seine Begeisterung schlägt wieder in Paralyse um.
Es folgt ein Zwischenspiel in der Tschuang-Tse und seine Frau auf der Reise sind. Die nächste Hauptszene spielt auf einem Friedhof. Frau Tiän jammert und sehnt sich nach dem Zuhause während Tschuang-Tse sich einer jungen Witwe zuwendet, die an einem Grab um ihren Mann trauert. Sie habe geschworen ihm bis zum Tode treu zu sein, nun wartet aber der Liebhaber und sie versucht die Erde des Grabes trockenzufächeln. Tschuang-Tse beschwört die Geister, die die Erde augenblicklich trocknen. Die Witwe schenkt Tschuang-Tse aus Dankbarkeit ihren Fächer, welcher der Auslöser für einen Streit zwischen Tschuang-Tse und seiner Frau Tiän wird. Diese glaubt nämlich auf Grund dieses Geschenkes, dass ihr Ehemann sie betrügt. Tschuang-Tse täuscht darauf hin einen Herzanfall vor.
Das nächste Zwischenspiel zeigt den Trauerzug mit Tschuang-Tses Sarg.
Das Trauerhaus ist der Ort für die dritte Hauptszene in der der Prinz Fu mit seinem Diener gekommen sind, um dem Toten ihre Ehrerbietung erweisen. Während der Trauerfeier erblicken sich der Prinz und Frau Tiän zum ersten Mal und fühlen sich zueinander hingezogen. Ihre Zuneigung wird nur durch den Sarg des Tschuang-Tse gestört, der entfernt werden soll. Der Prinz verliert in der Anstrengung, den Sarg zu entfernen in Krämpfen das Bewusstsein, worauf der Diener der Frau Tiän suggeriert, dass nur Medizin aus Menschenhirn gegen diese Krämpfe helfen könne. Daraufhin schlägt Frau Tiän vor, das Blut ihres verstorbenen Mannes zu verwenden und gibt dem Diener eine Axt. Als dieser den Sarg öffnet erhebt sich der „Tote“, und Tiän, der Diener und der das Bewusstsein wieder erlangte Prinz fliehen.
Die letzte Szene der Oper zeigt Tschuang-Tses Tanz. Glücklich, nun von seiner Frau befreit zu sein, verwandelt er sich in den so lang erträumten Schmetterling.
Die Orchesterbesetzung weicht nur minimal von der des Liu-Tung ab und zwar bei dem reicher bestückten Schlagzeug. Insgesamt ist die Partitur freundlicher und liebevoller als das Lehrstück und es fehlen die antreibenden Klangballungen und leidenschaftlichen Ausbrüche. Die Verständlichkeit des Textes ist Vorraussetzung für eine Komödie und setzt Yun häufig Halbgesprochenes oder Halbgesungenes ein. Der Rhythmus der Gesangslinien schmiegt sich der Sprachdiktion genau an.
Die erste Szene beginnt mit einem eng verschachtelten Duett zwischen Lao-Tse und Tschuang-Tse. Der Gesangscharakter ist hier ein rezitativisches Parlando, an das sich zwei Ariosi anschließen. In dem Intermezzo „Der lange Weg“ werden drei völlig unterschiedliche Stimmungen beschrieben. Einerseits der komische Träumer Tschuang-Tse mit seiner nüchternen Frau Tiän, dann die lange Reise in die Einsiedelei und schließlich, mit dem Einsatz des Englischhorns, die Idylle des Friedhofs. Erstmals tritt Frau Tiän singend in Erscheinung. Ihr Sopran ist exzentrisch zwischen Grazie und Klagen.
„Ein musikalischer Höhepunkt ist die pathetische Beschwörung der Winde durch Tschuang-Tse: ein rechter Theaterdonner, bei dem sich Bariton, Chor und Orchester zum vielfachen Fortissimo steigern, bis sich der Sturm beruhigt.“[1] Abgelöst wird dieses Furioso von der Dankes-Arie der Witwe, die Frau Tiän so eifersüchtig macht, dass es zu einem Geplänkel zwischen ihr und Tschuang-Tse kommt. Dabei federt die Musik flexibel, as begleite sie einen Florettkampf. Die Auseinandersetzung und die Musik werden leidenschaftlicher und finden ihren Höhepunkt bei Tschuang-Tses vorgetäuschtem Herzanfall. Hier wird die Funktion der Musik dann besonders deutlich. Wie in einer Filmszene, die ohne die Hintergrundmusik blass erscheinen würde, verbinden sich Musik und die gesprochenen Worte der Frau Tiän zu einem lebendigen Charakterbild. Zuerst fordert sie verärgert ihren Mann auf, das Schauspiel zu beenden: „Nun spiel nicht Theater, Mann. Steh wieder auf, damit wir weiterkommen und endlich eine Herberge finden. – Also!“ Mit den Worten „Spiel doch nicht den Beleidigten! – Tschuang! Ich bin nicht mehr böse. Komm!“ versucht sie durch trotzend Tschuang umzustimmen. Doch schließlich schlägt ihre Stimmung in Angst, Entsetzen und Reue um: „Tschuang? – Nein!! – Tschuang, du mein geliebter Mann! Tschuang!!“ Nur hier wirkt die Figur der Frau Tiän menschlich und die Szene ist pathetisch.
Das nächste Zwischenspiel wirkt wieder wie eine exzentrische Lustspielszene. Die Musik unterstützt das Bild des skurrilen Trauerzugs mit Fahnen, schirmen, Ehrentafeln und chinesischen Trauerkleidern. Das nächste Bild wird ein wenig noch rauer und wird nun zu einem wirklichen Lustspiel gesteigert. Erstmals tritt der Prinz Fu mit seinem Diener auf: der schöne, auf seine ehre bedachte und schusselige Herr – und sein intelligenter, stets beratende und im Schatten seines Herren verweilende Diener. Dieses Zweigespann ist die Parallele zu den europäischen Paaren wie beispielsweise Amphitryon und Sosias, Don Quixote und Sancho Pansa oder Don Giovanni und Leporello. Der Prinz Fu und sein Diener wurden durch Text, Darstellung und Musik noch enger aneinandergebunden. Beide Männerstimmen sind eng verschachtelt. Sie singen beide ähnliche Sätze, wobei die Sprache des Prinzen weit, blumig, beinahe hochtrabend, die des Dieners nüchtern und stumpf ist. Der Gesang des Herrn ist reich verziert und strahlend, der des Dieners grundiert meist die baritonale Meisterschaft des Prinzen. Der Prinz beginnt den Satz, gibt gleichsam das Stichwort, und der Diener vollendet den Satz in gleichem oder abweichendem Sinn. (akbo13)
In seiner Arie, um dem Toten zu huldigen, erklingt die wundervolle Baritonstimme des Prinzen. Frau Tiän, die eben noch ihrem Mann im Trauerzug gefolgt ist, erwidert in ihrem Solo die Liebe des Prinzen. Dieses Geständnis ist jedoch eine heikle Angelegenheit, da erstens ihr Charakter nicht der einer Hauptfigur entspricht – man denke hier an die großen Opernsoprane der klassischen Opern – und zweitens ist sie Asiatin des klassischen Zeitalters, die mehr noch als in unserem emanzipierten Jahrhundert zurückhaltend im Schatten des alleinherrschenden Mannes zu bleiben hatte. Frau Tiäns Liebeserklärung bleibt höflich und zurückhaltend: „Mein Prinz! Es wäre nicht in meinem Sinn, wenn Ihr Euch nicht ganz in meinem Haus zu Hause fühltet!“ Durch die Musik aber wird der Hintersinn klar. Vorbereitet durch zärtliche Streicherakkorde und einen schmelzenden Oboen-Ton schmeichelt schon die Anrede „Mein Prinz!“ in glissandierten kleinen Intervallen. Dann wird Tiäns Stimme immer leiser und intimer. Der Satz wird durch Pausen unterbrochen, die durch lyrische Instrumentalfloskeln der Flöte, der Violine und der Harfe überbrückt werden. Das Wort „ganz“ ist ein isoliert stehender Halbtonschritt, und erst am Ende des verführerischen Satzes schwingt die Stimme expressiv und ornamental verziert aus.[2] (akbo16)
Die Solostelle des Dieners ist wortbetont, gestisch, schnell in der Diktion, grotesk in der Wirkung. Sie entspricht dem komischen Buffo-Ton und der Gesang ist sprachnahe und hebt sich nur selten zu opernhaftem Singen. Die Szene des Dieners lotst zum Höhepunkt des Einakters, bei dem Tschuang-Tse aus dem Sarg steigt und Tiän. Prinz und Diener in Panik fliehen. Befreit von allen Lastern besingt Tschuang die Freiheit des Schmetterlings und tanzend schwingt er in das Reich der Träume, bis seine Stimme im Chor der Schmetterlinge aufgeht.
Die Kieler Bühnen gaben bei Yun eine Oper in Auftrag, die im Rahmen der Kieler Wochen uraufgeführt werden sollte. Es sollte diesmal keine Oper mit einer Vorlage aus dem asiatischen Kulturkreis sein, sondern eine aus der europäischen Literatur entnommene. Yun konnte sich aber damit nicht anfreunden und man einigte sich darauf, abermals eine chinesische Novelle als Vorlage zu wählen. Es handelte sich um eine Geister- und Gespenstererzählung aus der Sammlung Liao Chai Chi I (Ming-Dynastie). Ein gleichmütiger, junger Intellektueller gewinnt durch die Liebe zu zwei Füchsinnen an Gefühl und menschlicher Wärme. Diese Füchsinnen sind Halbgeister, die fähig waren menschliche Regungen zu empfinden, aber eben auch dämonenhaft waren. Der Intellektuelle gewinnt zwar durch diese Liebesbeziehung an Menschlichkeit, aber stirbt im Laufe der Geschichte an Kraftlosigkeit, welche die auszehrende Beziehung mit sich bringt. Die Füchsinnen hingegen werden zu Fleisch und Blut, verlieren aber dadurch die Unsterblichkeit, die sie als Geisterwesen besaßen.
Als das Texbuch bereits geschrieben war, Yun bereits mit der Komposition begonnen hatte und man sich auf den Titel Geliebte Füchsin (es sollte im Unterschied zu seinen beiden ersten Opern eine phantastisch-romantische Oper werden) einigte, hakte der damalige Regisseur, der die Uraufführung leiten sollte, ein und schlug folgendes vor: Man solle doch „…alle auf das Lakolkolorit bezogene Genre-Szenen tortlassen, auf die romantisch-skurillen Momente und die Mischung zwischen Humor und Ernst … verzichten und die dramatische Entwicklung nur in das Innere der Person … verlagern. Die Handlung sollte gleichsam auf ihr geistiges Skelett reduziert werden, auf den philosophischen Kern der Parabel: Reiner Intellekt, aber auch reiner Trieb ist nicht menschlich, ist nicht lebendig, ist nicht sterblich. Beide sind utopisch, sind Hirngespinst. Erst aus der Verbindung beider Utopien bildet sich Realität, bildet sich volles Menschenleben. Diese Leben aber ist seiner Natur nach den Tod gebunden, dem Wandel unterworfen. Die Quintessenz lautet: Geisterliebe bringt Tod dem Mann, Menschenliebe bringt Leben, bringt Tod den Geistern.“[3] So wurden nochmalige Textänderungen vorgenommen und der zweite Teil völlig neu geschrieben. Der Titel wurde in Geisterliebe geändert.
Die Uraufführung erlebte die Oper am 20. Juni 1971 im Kieler Opernhaus.
l Erzählerin
Stimme: Alt
Charakter: Trägt die Geschichte vor
l Pan Hon-San
Stimme: Tenor
Charakter: Junger Student, der sich in die Füchsinnen verliebt
l Lian-Kung
Stimme: Mezzosopran
Charakter: Ältere Füchsin
l Ah-Hsiu
Stimme: Lyrischer Sopran
Charakter: Jüngere Füchsin
l Song-Long = Tschang = Tsiä-Tse
Stimme: Bass
Charakter: Anführer der Dämonen, der sich in einen Hausbesitzer und später in einen Bettelmönch verwandelt.
l Chor
Stimme: Chor
Charakter: Chor
Die Bühne ist in drei bereiche geteilt, die jeweils eine verschieden Welt darstellen sollen. Der erste Teil gehört der Schamanin, die mit ihren Trommeln die Geschichte erzählt. Der zweite Bereich stellt die Welt der Realität dar, in der der junge Student lebt. Das letzte Drittel der Bühne repräsentiert nimmt die Welt des Unbewussten ein, also die Welt der Dämonen.
Der erste Akt wird mit Trommeln eingeleitet. Die Schamanin berichtet auf ihren Trommeln über den jungen Studenten Pan Hon-Sa, der ernst, scheu und fromm nur für seine Arbeit lebt. Danach erhellt sich die Dämonenwelt auf der Bühne und der Anführer der Dämonen Song-Long tritt in Erscheinung. Er verwandelt sich in den Hausbesitzer Tschang, bei dem Pan Hon-San wohnt und tritt auf die Hauptbühne, wo Pan Hon-San in seine buecher vertieft ist. Tschang behauptet, dass in seinem Haus Geister hausen und seine Familie ihn dränge das Haus aufzugeben. Pan Hon-San glaubt nicht an diese Geschichte. Daraufhin schenkt Tschang das Haus dem Studenten. Er verlässt ihn und verwandelt sich wieder in den Dämon Son-Long.
Als sich Pan Hon-San wieder seinen Büchern widmen will, sind diese verschwunden. Die Füchsinnen haben sie aus Schabernack versteckt. Der junge Student wundert sich zwar über das Verschwinden seiner Bücher, schöpft aber noch keinerlei Verdacht. Er schreibt ein Buch „Über die Nichtexistenz der Geister“ als Beweis, dass Gespenster nur Hirngespinster sind.
Die beiden Füchsinnen, Liang-Kung und Ah-Hsiu, kommen aus ihrem Versteck heraus und beschließen, Pan Hon-Son zu verführen. Als bei der Verführung abermals Spuk zu bemerken ist, wird Pan Hon-Son langsam misstrauisch.
Die Schamanin fährt mit ihrer Erzählung fort. Sie erzählt was Füchsinnen sind: „gute und auch kluge Geister, Wesen zwischen Leben und Tod, der Unterwelt nah, doch keine Dämonen.“[4] Die Füchsinnen tarnen sich als Dienerinnen und umschwärmen Pan Han-Son, der sich zu wehren versucht, die ihn daraufhin in einen hypnotischen Schlaf versenken. Beide begieren nach der Liebesvereinigung mit Pan Hon-San, wobei sich die junge Füchsin Ah-Hsiu als mitleidslos herauscharakterisiert und die ältere Füchsin Liang-Kung trotz ihrer starken Gefühle zu ihm lieber verzichten will, weil sie weiß, dass die Liebe Pan Hon-San töten würde. Als alle Versuche Ah-Hsius sich mit Pan Hon-San geschlechtlich zu vereinen scheitern, bittet sie Son-Long zu Hilfe. Liang-Kung versucht wiederum Pan Hon-San zu beschützen.
Die Erzählerin fährt fort: „Füchsinnenliebe, Geisterliebe bringt Tod!“ Pan Hon-San wälzt sich in schweren Träumen hin und her. Er kämpft gegen das Triebhafte, das seinen Verstand zu betäuben versucht. Dämonen umgeben ihn, Wille und Verstand Versagen. Son-Long beweist dem Träumenden, dass „gequälter Leib, den Kopf, gequältes Herz den Verstand besiegt“.[5] Mit dem Magischen Zauberspruch „Lerne hassen! Lerne liebe! Sei verwandelt!“ bringen die Dämonen die Füchsinnen zu Pan. Als Pan Hon-San erwacht stürzen sich die beiden Füchsinnen in Lieber über ihn und die Schamanin fährt weiter fort mit den Worten: „Kopf wird Herz, wird Leib, wird Liebe!“ und schließt mit: „Geisterliebe verwandelt, Geisterliebe bringt Tod!“
Die Schamanin leitet auch den zweiten Akt mit den abgewandelten Schlussworten ein: „ Menschenliebe bringt Leben den Geistern. Leib wird Herz. Herz wird Liebe, Menschenliebe.“ Es erscheinen wieder die Dämonen auf der Bühne und Son-Long verwandelt sich in einen Bettelmönch. Pan Hon-San merkt allmählich, dass ihre Liebe und Leidenschaft seinen Intellekt zu besiegen beginnen und flieht deswegen. Er bittet den Bettelmönch Tsiä-Tse (= Son-Long) um Rat, da er meint er wäre krank. Tsiä-Tse deutet ihm, dass er nicht krank sei, sondern durch eine Liebesbeziehung zu Füchsinnen zum Sterben verurteilt sei. Pan Hon-San, der zuerst nicht an Geister glauben wollte, wird erstmals von Panik erfasst. Daraufhin wird ihm vom Mönch geraten, dem Rest seines Lebens dadurch einen Sinn zu geben, das er die Füchsinnen durch seine Liebe aus ihrem unglücklichen Zwischendasein erlöse und zu Frauen verwandle.
Ah-Hsiu und Liang-Kung, die durch die Liebe zu dem Menschenwesen bereits viel von ihrem füchsischen Wesen verloren haben, vertrauen sich an, wie sehr sie durch Pan Hon-Sans Liebe die Wärme menschlichen Lebens erfahren haben. Ah-Hsiu will dieses Glück auf Dauer besitzen, doch Liang-Kung weiß, dass nur das Sehnen von Dauer ist, während die Erfüllung das Ende näher bringt: „Leben heißt sterben.“[6] Beide wünschen sich parallel mit dem Leben ihren Tod, das Ende ihrer Existenz zwischen den Welten, herbei. Sie sinken in todesähnlichen Zauberschlaf.
Pan Hon-San hat mittlerweile in der Meditation die Kraft zum Gebet gefunden und fleht Hsi Wang-Mu, die Schutzgöttin der Frauen, nochmals für die Frauen um die Gnade der Wandlung an. Die beiden Füchsinnen werden von den Dämonen neben Pan Han-Son gelegt und der Frauenchor beklagt den scheinbaren Tod der Füchsinnen. Die Erzählerin klärt jedoch auf: „Leben und Sterben – Stufen ins Neue! Geborenwerden heißt Sterben, und Sterben heißt Geborenwerden.“ Als Pan Hon-San die beiden Füchsinnen neben sich entdeckt, küsst er beide und die Füchsinnen werden zu Menschenfrauen. Das Wunder der gewandelten Wiederkehr ist vollbracht. Gerührt umhalsen sich die Liebenden, während die Dämonen diese umkreisen und immer mehr einengen. Auf dem Höhepunkt der Liebesszene stirbt Pan Hon-San und die Dämonen tragen seinen Leichnam hinfort.
Die Erzählerin und der Frauenchor ahnen, dass auch dieser Tod nur eine Stufe zu neuer Wandlung ist.
Die Partitur der Geisterliebe ist grösser besetzt als die der Träume: drei Flöten, drei Oboen, zwei Klarinetten und zwei Fagotte, zwei Hoerner, zwei Trompeten, zwei Posaunen und Tuba; Pauken und eine Schlagzeuggruppe von mindestens fünf Spielern; Harfe und Streichorchester. Die Holzbläser spielen auch Wechselinstrumente, das Schlagzeug umfasst außer Xylophon, Trommeln, Triangeln, Becken und Glockenspiel auch Instrumente wie Schlittenschellen, Handglocken, Buckelgongs, Maracas, Tempelblocks und Baks. Die in Europa am wenigsten bekannten Instrumente sind die drei koreanischen Jwa-go-Trommeln.[7] Anders als bei Sim Tjong liegt der musikalische Schwerpunkt hier beim Orchester. Während in den Einaktern Traeume die Spielhandlung und in Sim Tjong Chor und Sologesang im Vordergrund stehen, wird hier dem Orchester besonders in den Zwischenspielen eine wichtige Rolle zugedacht.
Die Charaktere der Dämonenwelt, das Geheimnisvolle und auch die Füchsinnen werden vor allem durch das Orchester wiedergegeben. Pan Hon-San beispielsweise wird anfangs musikalisch sehr trocken und kühl charakterisiert. Als er später immer mehr in den Bann der Füchsinnen gezogen wird, gewinnt auch die Orchesterbegleitung an expressiver Kraft. Das Orchester steht unter ständiger Spannung und um einem etwaigen Überdruck entgegenzusteuern, stehen die fünf eingeschobenen Szenen der Erzählerin zur Verfügung, die es dem Orchester erlauben zu entspannen. Am Maximum der Intensität unterbrechen diese Szenen den Handlungsverlauf und erzwingen die Verlagerung der Musik auf eine andere, neutralere Ebene. Ein weiteres Mittel ist die Technik des Schnittes. Die einzelnen Szenen gehen nicht in fließenden Übergängen ineinander über, sondern werden unvermittelt gesetzt. „Ohne das musikalische Gesamtbild zu zerreißen, setzt Yun hier immer wieder neu an, und er braucht für diesen Ausdruckswandel meistens nur einen einzigen Takt (Beispiele: 1. Akt, Takte 370, 374, 384, 404, 407, etc.).“[8]
An diesen Schnittstellen treffen stets die verschiedenen Haupttöne zusammen, die durch jeweils typische signalartige Instrumentalkombinationen initiiert und dann von den anderen Instrumenten und Singstimmen übernommen werden. Für die Füchsinnen sind hohe Holzbläser in Verbindung mit Glockenspiel, Harfe und hohen Streichern typisch; oder für Son-Long hölzerne Schlaginstrumente in Verbindung mit Blechbläsern und den Bassregistern der Streicher. Diese Leitinstrumente charakterisieren die jeweils auftretenden Personen und begleiten diese durch die gesamte Oper. So wird Son-Long musikalisch ähnlich eingeführt wie Tschang und Tsiae-Tse, wird aber zu den Fuechsinnen eindeutig abgegrenzt. Aber nicht nur die Leitinstrumentation verwendet Yun zur Charakterisierung der Personen, sondern setzt auch Detailstruktur der Melodik ein. So bevorzugen die beiden Füchsinnen Sekund-Intervalle, die durch Glissandi verbunden sind. In diesem engen Intervall verbleiben sie meist bis zum zweiten Akt, wenn die beiden Füchsinnen allmählich zu Menschenfrauen werden und ihre Intervalle sich vergrößern. Sie passen sich somit mehr und mehr Pan Hon-Sans Stimme an. Dieser wiederholt häufig einen bestimmten Ton, der eine Art Hauptton zu sein scheint, von dem aus sich Intervalle der Terz, Quarte und des Tritonus abheben. Son-Longs Stimme zeigt Intervalle über Quinte bzw. Sexte hinaus und wechselt oft zwischen Sprechen und Singen, dynamische Schwankungen zwischen Flüstern und mehrfachen Forte betonen seinen Charakter eines Dämonen. Die Stimme der Erzählerin, meint dazu Harald Kunz, „…hat die weiteste Ausdrucksskala zwischen Monotonie und Ekstase, zwischen fahlem, sprachnahem Gesang und reichster Ornamentik, Tonrepitionen und Extremsprüngen bis zur Duodezime.“ Zuerst umkreist ihre Stimme fast monoton das tiefe C – damit soll der dämonische, dunkle Charakter der Oper angedeutet werden – erstarkt ihr Canto im Laufe der Geschichte.
Nach der Einführung durch die Erzählerin folgt die Szene in der Tschang (= Song-Long) dem jungen Studenten Pan Hon-San von dem Spuk in dessen Hause schildert. Die Musik bleibt nüchtern und zeigt damit, dass Pan Hon-San nicht wirklich an diese Geistergeschichten des Tschang glauben mag. Auch mit dem ersten Auftritt der Füchsinnen ändert sich noch nicht viel an der nüchternen Stimmung, doch lassen diese schon mehr Sinnlichkeit in ihren Stimmen herausklingen. Die zweite Zwischenszene gewinnt an lebendiger Stärke indem Yun hier gezielt ausdrucksvolle, weite Intervallsprünge einsetzt. (akbo18)
Der Auftritt der Füchsinnen, als sie versuchen Pan Hon-San zu vergewaltigen, wird von Solo-Violinen, Altflöte und weichen Streichern begleitet. Glockenspielflimmer und ein Terz-Akkord der Piccoloflöten betonen die hypnotische Wirkung, bis das abrupte Einsetzen der Blechbläser den Triumph der Füchsinnen über Pan Hon-San signalisiert. Das folgende Zwiegespräch der Füchsinnen offenbart den verschiedenen Charakter der beiden Wesen auch musikalisch. Ah-Hsius Stimme hat eine hohe Lage, sie soll ihren jungen, temperamentvollen Charakter beschreiben. Liang-Kungs Stimme hingegen bleibt tief und verleiht etwas Resignierendes, Pessimistisches. Im Gegensatz dazu springt die Stimme des Dämons hastig von Akzent zu Akzent. Das Orchester steigert sich dementsprechend zum finalen Höhepunkt des ersten Aktes zu einem Furioso hin. Unterbrochen wird dieses Finale von der Erzählerin.
Pan Hon-San wälzt sich in Alpträumen und die Dämonen rücken an. Der Chor der Dämonen umkreist ihn und mit rhythmischer Dynamik engt er ihn ein. Schließlich tritt der mächtige Bass Song-Longs hinzu, der gemeinsam mit dem Chor und einem ernormen Ansturm des ganzen Orchester zerbirst Pan Hon-Sans Gegenwehr. Die Hochzeit der Füchsinnen mit Pan Hon-San geht ohne Gesang, nur durch Holzbläser begleitet, über die Bühne. Der erste Akt endet mit dem Spruch: „Kopf wird Herz, wird Leib, wird Liebe.“
Der zweite Akt ist, ganz nach dem Ying-Yang-Prinzip, das Spiegelbild zum ersten Akt. So wird Pan Hon-San zum aktiv Handelnden, der dem Rest seines Lebens den positiven Sinn gibt, die Füchsinnen durch seine Liebe zu Menschen zu verwandeln. Die Füchsinnen wiederum, die aktiven Elemente des ersten Aktes, verhalten sich im zweiten Akt eher passiv. Desgleichen bleibt der Dämon in einer zurückhaltenden Position und gibt Pan Hon-San als Mönch nur Anstöße. Es finden sich dramaturgische Parallelen zum ersten Akt wie beispielsweise die Spielszene zwischen dem Mönch Tsiä-Tse und Pan Hon-San, die der Spielszene zwischen dem Hausbesitzer Tschang und Pan Hon-San entspricht; oder das Duett Ah-Hsius und Liang-Kungs mit dem Unterschied, dass beide im zweiten Akt einen höheren Grad an Reife gewonnen haben. Die große Szene Pan Hon-Sans in der Auseinandersetzung mit den Dämonen hat ihre Analogie in dem Ritual der Beschwörung der Muttergöttin Hsi Wang-Mu. Die kleinen glissandierten Intervalle drücken Pan Hon-Sans entwickelte Leidenschaft und Emotionalität aus. Die Stimmen der verwandelten Menschenfüchsinnen springen über Sekund-Chromatik hinaus zu ausdrucksmächtigen, von menschlichem Temperament zeugenden Intervallen. Diese Gegensätze werden in dem großen Schlussterzett der drei Liebenden verbunden. Die Oper klingt mit einem offenen Zwölfton-Akkord aus und als letzter musikalischer Eindruck bleiben die Schläge der Schamanen-Trommeln.
[1] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 106
[2] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 109
[3] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 111
[4] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S.112
[5] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 113
[6] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 113
[7] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 114
[8] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 115
Als die Olympischen Spiele von München 1972 vor der Tür standen, trat der Intendant der Bayrischen Staatsoper München an Isang Yun heran und bat ihn einerseits für die Münchner Opernfestspiele 1972 andererseits für die Olympischen Spiele eine neue Oper zu schreiben. Es sollte eine Oper mit asiatischem Stoff in der Interpretation durch ein europäisch-amerikanisches Ensemble sein, was im Sinne des olympischen Gedankens, der Völkerverbundenheit, stehen sollte. Da die Oper aber über die Festspielzeit und die Olympischen Spiele hinaus für den normalen Spielplan bestimmt sei, sollte der asiatische Stoff leicht verständlich und nicht allzu sehr „experimentell“ sein.
Die Vorlage zu dieser Oper ist ein koreanisches Märchen, von dem Engel, dem Apsaras Sim Tjong, die als Tochter eines armen Blinden wiedergeboren wird. Sie liebt ihren Vater so sehr, dass sie sich für ihn opfert, damit ihm das Augenlicht wieder geschenkt wird. Yun sagte einmal zu der Figur Sim Tjong: „Sim Tjong sei für die Koreaner das Idealbild einer asiatischen Tochter und Frau. Ihre Tugenden sind die Bereitschaft zum Dienen und ein unaufdringliches, stilles Da-Sein. Sie tut alles, ohne sich hervorzutun. Sie wirkt, ohne auf die Wirkung bedacht zu sein. Sie entspricht dem Geist des Tales: In ihr sammeln sich die Kräfte, in ihr findet man Ruhe und Tiefe. Sie verbindet die Prinzipien des Yang und Yin, sie ist eine Inkarnation des Tao und seiner Tugenden.“[1] Zuerst bezweifelte Yun die Eignung Sim Tjongs für eine Oper, deren Hauptfiguren meist einen primadonnahaften Glanz hatten; Sim Tjong sei mit ihrer Ruhe und Opferbereitschaft nahezu der Gegensatz zu einer Primadonna. Doch die Herausforderung gerade einen solchen Charakter musikalisch zu einer Hauptfigur einer Oper zu machen, reizte den Komponisten schlussendlich.
Dem Komponisten, Intendanten und der Dramaturgin war die Authentizität dieser Oper von Bedeutung. Die Handlung ist in den überirdischen Bereich gebettet und immer wieder erscheinen Götter oder Heilige. Zusätzlich wurden taoistische bzw. konfuzianische Texte hinzugefügt. Der Chor wird von buddhistischen, taoistischen und konfuzianischen Idealgestalten verkörpert (Boddhisattvas = Bosal, die acht Unsterblichen und die Fünf Kaiser). Der Drachenkönig als ein Vertreter der Naturreligionen komplettiert die wichtigsten Ideologien Ostasiens.
Die Uraufführung erlebte Sim Tjong am 1. August 1972 im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper München. Gleichzeitig wurden damit die Osterfestspiele und das Kulturprogramm der 20. Olympischen Spielen eröffnet.
l Sim Tjong
Stimme: Sopran
Charakter: Engel, der als Tochter eines Blinden wiedergeboren wird
l Sim
Stimme: Bariton
Charakter: Blinder Vater Sim Tjongs
l Eine Frau
Stimme: Sopran
Charakter: Ehefrau des Sim
l Paeng-Dok
Stimme: Alt
l Türhüter
Stimme: Bass
l Kaiser
Stimme: Hoher Bariton
l Bettelmönch
Stimme: Bass
l Köchin
Stimme: Mezzosopran
l Junger Mann
Stimme: Tenor
l Göttin Ok-Tjin
Stimme: Sopran
l Fünf Bräute
Stimme: Soprane
l Drachenkönig
Stimme: 5 Bässe
l Bosal 1
Stimme: Tenor
l Bosal 2
Stimme: Alt
l Chor der Heiligen
Stimme: Chor
Der Chor der Heiligen leitet die Oper ein, indem sie den Himmelskaiser Sang-Dje preisen. Zwei heilige Bosalfordern ein Apsaras auf, auf die Erde (genauer an die Westküste Koreas) hinabzusteigen und als Kind eines Blinden und seiner Frau, die seit zwanzig Jahren kinderlos sind, geboren werden. Die nächste Szene zeigt Sim und seine Frau mit dem Neugeborenen, die den Göttern für das endlich geborene Kind danken. Kurz darauf stirbt die Frau, ohne dass es Sim bemerkt. An einem Brunnen singen drei Frauen ein Lied von einem kinderlosen Kind. Eine gibt dem Neugeborenen die Brust. Die darauffolgende Szenerie zeigt Sim, wie er das Kind in den Schlaf singt und wie sich die betrunkene Frau Paengdok an ihn heranschleicht, um den Witwer für sich zu gewinnen. Dieser schickt sie aber fort.
Jahre sind vergangen und das Neugeborene ist nun ein junges Mädchen, das ihren blinden Vater liebevoll versorgt. Um den Lebensunterhalt zu finanzieren verkauft sie Sammelholz an einen Türhüter und bettelt bei einer Köchin. In der Folge trifft sie einen jungen Mann, der um sie wirbt, doch Sim Tjong weist ihn zurück, da sie ihren Vater nicht alleine zurücklassen will und es als ihrer Lebensaufgabe sieht, für ihren Vater zu sorgen.
Sim geht aus dem Haus um nach Sim Tjong zu suchen, die noch nicht heimgekommen ist, und stürzt vom steilen Ufer. Ein Bettelmönch rettet den Blinden. In der Zwischenzeit hat sich Frau Paengdok in das Haus geschlichen und nach Geld gesucht. Als Sim und der Mönch heimkommen, wird sie dabei überrascht. Paendok überredet Sim, ein Opfer für den Tempel zu versprechen, damit er wieder sehen kann, und stellt dem Mönch eine Belohnung in Aussicht. Während Sim betet, diktiert Paengdok dem Mönch das Opferversprechen von 300 Sack Reis. Der weltfremde Sim unterschreibt den Vertrag mit dem heiligen Gelübde. Als Sim-Tjong heimkehrt findet sie ihren blinden Vater in tiefster Verzweiflung vor, der sein Gelübde bereits bereut. Er macht die bittere Erkenntnis, dass er viel zu arm ist, um den Schwur jemals einlösen zu können. Um ihren Vater zu trösten, verspricht Sim-Tjong, den Eid an seiner Stelle einlösen zu wollen.
In das Dorf kommen Seemänner, die eine Jungfrau als Opfer für den Drachenkönig von In-dang-su kaufen wollen. Paendok bietet ihnen an eine für sie zu beschaffen. Just in diesem Moment tritt Sim Tjong zu den Seemännern. Sie habe von ihrem Kaufangebot gehört und biete sich selbst an im Bewusstsein, damit in den Tod zu gehen. Ihr Preis lautet 300 sack Reis – das Opferversprechen ihres Vaters. Die Seemänner sind berührt von dieser selbstlosen Aufopferung und lehnen das Angebot zunächst ab. Nach kurzer Überlegung akzeptieren sie das Angebot mit der Entscheidung, den Kaufpreis zu erhöhen, damit der Vater versorgt ist.
Die nächste Szene zeigt Sim Tjong, die nicht einzuschlafen zu vermag, da sie unter dem Antagonismus, dass sie ihren Vater allein seinem Schicksal überlassen muss, zu leiden hat. Sim erwacht aus einem Alptraum. Er habe geträumt, die Tochter werde ihn verlassen, um zu heiraten. Sim Tjong bestaetigt daraufhin seinen Traum und erklärt, dass sie nun Abschied nehmen muss. Ihr Brautgeschenk soll die Opfergabe für Buddha sein. Sim weigert sich ihr den Segen für die Hochzeit zu geben und als Sim Tjong sich von ihrem Vater losreißt, nennt sie den Drachenkoenig von In-dang-su. Sim begreift nun Sim Tjongs Opfer.
Die folgende Zwischenszene zeigt Sims Vision: Sim Tjong springt, von Gebeten der Seemänner begleitet, in die Meerestiefe. Dort herrscht der Drachenkönig umringt von fuünf Bräuten. Sie sind halb Mädchen, halb Pflanzen, Individuen ohne Bewusstsein im Reich des Vergessens.
Auf die Frage Sim Tjongs, ob ihr Vater noch blind sei oder schon geheilt ist, erlebt sie eine Illusion. Sie zeigt ihren Vater in den Armen Paengdok, aber immer noch blind. Aus Verzweiflung bricht Sim Tjong zusammen und sie scheint sich, wie die anderen Bräute, zur Pflanze zu verwandeln. Da erscheint Sim Tjongs himmlische Mutter Göttin Oktjin und mahnt sie an den Auftrag, die Welt zu erneuern. Weiters erklärt sie, dass die Sorge um ihren irdischen Vater nur ein Abschnitt ihres Lebens sei und Sim Tjong nun als Frau des Kaisers ihre Lebensaufgabe vollenden müsse. Oktjin verwandelt Sim Tjong in eine Lotusblüte und schickt sie aus dem Reich der Tiefe zur Erde zurück.
Im zweiten Akt bringen die Seemänner dem Kaiser die Lotusblüte, die sie auf der Rückfahrt fanden. Plötzlich öffnet sich die Blüte und Sim Tjong kommt zum Vorschein. Beide offenbaren ihre Liebe zueinander. Doch bevor sie sich dem Kaiser hingibt, möchte sie den Segen ihres Vaters einholen. Daraufhin schickt der Kaiser nach Sim.
Sim ist in der Zwischenzeit mit Paengdok liiert, die ihm vortäuscht, ein Kind von ihm zu erwarten. Paengdok gesteht Sim, dass sie sein Haus verkauft habe, um ihre Schulden zu begleichen. Jetzt erkennt Sim das ganze Ausmaß ihres Betrugs und drängt Paengdok aus dem Haus, wobei sie die letzten Ersparnisse mitnimmt.
Sim wird an den Kaiserhof gebracht, wo er fälschlicherweise annimmt, dass er vor Gericht steht. Dort bekennt er sich der Verfehlungen seines Lebens für schuldig: Egoismus, Verblendung durch totes Wissen, Unbescheidenheit und die Mitschuld am Tod seiner Tochter.[2] Sim ist bereit, dafür das Todesurteil entgegenzunehmen. Der Kaiser entscheidet, da sich Sim selbst erkannt hat, soll Sim nun auch Sim Tjong erkennen. Sim Tjong nähert sich ihrem Vater und berührt mit einer Lotosblüte seine Augen. Sim kann wieder sehen.
Das Wunder verbreitet sich wie ein Lauffeuer und von überall kommen Kranke und Hilfsbedürftige herbei und erbitten ein Wunder. Sim Tjong erfüllt all deren Hoffnungen. Währendessen bittet Sim Tjong ihren Vater, ihr und dem Kaiser den Segen zu geben. Sim erfüllt ihren Wunsch. Im Hintergrund leuchtet die Erscheinung Ok-Tjins auf, der Sim, zum Tode bereit, entgegengeht. Das Volk füllt die Bühne und singt den Schlusschor: „Segen erlöst. Segen befreit. Sehen erlöst. Sehen befreit. Segen. Sehen.“
Auffallend bei Yuns letzter Oper ist die opulente Besetzung sowohl des Orchesters als auch der Sänger. Zu den neun großen Partien kommen noch 21 kleinere Rollen. Auch dem Chor wurde eine wichtige Rolle zugedacht und zusätzlich gab es noch einen kleinen Kammerchor, der für die Spielszenen der Seemänner, des Hofstaates und des Volkes bestimmt war. Das Orchester wurde mit dreifachen Holzbläsern mit Wechselinstrumenten, vierfachen Blech, reichlich Schlagzeug, Harfe und groß besetzten Streichorchester umfangreicher besetzt als in den davorgegangen Opern. Die Schlagzeuger hatten die Mehrschlagpeitschen Bak und von Yun konstruierte Schellenbündel verschiedener Stimmung in Gebrauch. Das umfangreiche Orchester ist keinesfalls durchgehend im Einsatz; die Konzeption der Oper sah eher vor, die Spielhandlungen in einen musikalisch intimen Rahmen einzubetten. Das volle Orchester wird nur an bestimmten Höhepunkten massiv eingesetzt.
Wie eingangs erwähnt, ist der Charakter der Titelfigur ein ruhiger und schlichter. Das deckte sich mit Yuns Wunsch, in seiner Musik Schlichtheit, Klarheit und Verständlichkeit zu erreichen. Tatsächlich ist die Struktur der Melodik und Harmonik, der übersichtliche Einsatz von Klangfarben und die markante Rhythmik offensichtlich, bei allerhöchstem Anspruch an die Sänger und das Orchester.[3]
Die Stimmen der Rollen werden grundsätzlich in zwei Bereiche unterteilt. Die hohe Stimmführung repräsentiert die himmlischen Sphären; das sind also die Titelfigur Sim Tjong, Ok-Tjin und Teile des Chors. Der Kaiser ist zwar ein lyrischer Bariton, doch wird seine Stimme meist in der hohen Lage eingesetzt. Dazu im Kontrast stehen beispielsweise die fünf Bässe des Drachenkönigs oder aber auch Sim, der Mönch und Paengdok. Genauso verhält es sich mit dem Gesang der einzelnen Charaktere. Sim Tjong ist die die einzige Stimme, die ausschließlich zu singen hat; Paengdok hingegen ist der Sprache am nächsten. Zwischen den Extremen findet man Sim, der mehr zum Halbgesprochenen tendiert, und den Kaiser, der dem Halbgesungene einzuordnen ist. Harald Kunz meint in seinem Buch dazu: „Durch diese Abstufung reguliert Yun auch den Grad der Wortverständlichkeit. Wo das Wort nur Stütze fuer Emotionsdarstellung ist, dürfen sich die Stimmen in hohen Lagen frei entfalten, dabei bleiben sie notgedrungen schwer verständlich. Wo aber der Fortgang der Geschichte verstanden werden muss, setzt Yun tiefere Register ein oder verfärbt das Timbre zur Sprache hin.“[4]
Yun setzt wie bei den vorangegangen Opern auch, Leitinstrumente, die den Personen zugeordnet sind, ein. Sim Tjong wird von Flöten, Harfe und Celest, Paengdok meist vom Englischhorn eingeführt. Die Posaunen und die Tuba betonen die hohen Register der Himmelwesen; Streicherflageoletts in der Wasserwelt unterscheiden wiederum von der irdischen Welt. Der Drachenkönig mit seinen fünf Bässen und die Bräute gewinnen kaum an musikalischem Profil, sie bleiben konturenlos und verschwommen.
Die Gesangssolisten stehen in der Oper Sim Tjong stärker im Vordergrund als in den früheren Opern. Das Orchester tritt mehr in den Hintergrund und die beiden Partien von Sim Tjong und Sim stehen den sängerischen Anspruch großer klassischer Opern um nichts nach.
Bereits in der ersten Szene kann Sim Tjong, als Apsaras, ihren Sopran aufleben lassen. Die Differenziertheit ihrer Stimme, ihre Fähigkeit, das Timbre durch verschiedene Grade des Vibrato und Glissando-Vibrato zu verändern, zeigt Sim Tjong am Ende des Vorspiels, wenn sie tanzend zur Erde herabsteigt. (악보25)
Es folgt die Niederkunft Sim Tjongs. Frau Li und Sim stimmen ein Duett zum Dank an die Götter für das langersehnte Kind an. Frau Lis Stimme ist von der Geburt geschwächt und klingt in zartem Piano aus. Dieses kleine Duett ist eins von Yun in dieser Oper mehrfach verwendetes geschlossenes Liedformen. In einige dieser Liedformen sind Zitate eingefügt wie in der Szene der drei Frauen am Brunnen, denen der Witwer Sim das Kind bringt, damit sie es nähren. Diese Szene wird jedoch nicht realistisch gespielt, sondern definiert sich in einem dreistrophigen Lied. Die Auftritte der Frau Paengdok werden stets von einem Englischhorn begleitet und zeigen einen lockeren Parlando-Stil. Auch Sim wechselt zwischen Gesang und Sprache als er die Werbeversuche Paengdoks mit einem Arioso zurückweist.
Das Vorspiel endet mit einem impulsiven Orchesterstück und der erste Akt beginnt mir einem Doppelchor von zweimal acht Stimmen. Es folgt eine ruhige, innige Szene, in der Sim Tjong ihren blinden Vater füttert. Ihr fürsorglicher, gefühlsreicher und leiser Charakter kommt in dieser Szene zum Vorschein. Als Sim Tjong bettelnd von Tür zu Tür zieht, wird ihr „signalartiger Ruf durch ein markantes rhythmisches Schlagzeugmotiv“[5] begleitet. Yun ahmt dabei die prägnanten Rufe der Straßenhändler Koreas nach. In der Szene, in der der Liebhaber Park um Sim Tjong wirbt, zeigt sie ihr leidenschaftliches Temperament. Sie ist ihm nicht abgeneigt, doch sie fühlt sich ihrem Vater verpflichtet. Der Konflikt zwischen ihrem inneren Zwang, für den Vater zu sorgen und ihren natürlichen Gefühlen drückt sich in Intervallsprüngen ihrer Stimme aus, in Schwankungen zwischen Pianissimo und Fortissimo, überdies in einem Abrutschen in das Halbgesunge. In der nächsten Szene wird wieder ein folklorisches Element verwendet, wenn der Bettelmönch zum Gebet eine Holztrommel schlägt. In der Folge kommen Sim, Paengdok und Sim Tjong hinzu und musikalisch werden ihre konträren Charaktere erkennbar: wenn etwa Paengdok dem Mönch Sims Opferversprechen diktiert, während Sim betet, oder wenn der Mönch dem Blinden seinen Eid vorliest, der Blinde den Eid wiederholt und Sim Tjong, die vor dem Haus Zeugin dieses Gespräches wird, ihre Gedanken hierzu zum Ausdruck bringt. Als Sim einsieht, dass er den Schwur niemals wird einhalten können und Sim Tjong ihren Vater darauf hin damit zu trösten versucht, dass sie selbst das Opfer übernehmen werde, steigert sich die Musik in einen expressiven Höhepunkt. Erst als sich der Vater beruhigt, schwingt auch die Musik ab und am Ende der Szene singen Vater und Tochter fas die gleichen Worte; jedoch bleiben kleine Abweichungen, die Differenz zwischen den egoistischen Vater, der nur an sich selbst denkt und Sim Tjong, die nur an ihren Vater denkt. (악보33)
Ein Strophenlied mit folkloristischem Anklang leitet den Auftritt der Seemänner ein, die eine Jungfrau kaufen wollen. Als sich die betrunkene Paengdok zu den Seemännern gesellt, steigert sich die Szene in ein immer impulsiver werdendes Bild. Mit dem Auftritt Sim Tjongs schlägt die Stimmung vom Furioso der Paengdok-Szene in ernste Dramatik um. In einer großen Arie verkauft Sim Tjong ihr Leben an die Seeleute als Menschenopfer für den Drachenkönig. Am Ende der Arie bricht sie ab und Sim Tjong spricht verzweifelt die letzten Worte: „Und seid ihr glücklich heimgekehrt nach meinem Tod, dann sorgt für meinen Vater!“
Die Arie von 53 Takten zum Abschied Sim Tjongs von ihrem Vater ist der emotionale und gesangliche Höhepunkt des ersten Aktes. Besonnen und ruhig, für ihren Vater bereitwillig in den Tod zu gehen, fließt Sim Tjongs Gesang. Die Abschiedsszene lässt aber wieder die unterschiedlichen Charaktere Sims und Sims Tjongs zu Tage kommen. Während Sim aus seinem Alptraum erwacht und nervös und ärgerlich wirkt, reduziert sich die Stimme Sim Tjongs auf ganz schlichte, nicht mehr verzierte, immer weniger werdende Töne bis sich ihr Gesang auf den Ton es² fixiert. Danach steigert sich die Musik in ein gewaltiges Furioso, Sim trauert um seine Tochter und ist verzweifelt. Plötzlich bricht es ab und das Tempo verlangsamt sich radikal. In zartestem Piano erklingen über ruhigen Streicherwellen Sim Tjongs Instrumente Flöte, Oboe, Harfe, Celesta und die an Tempelzeremonien erinnernde Glöckchen. Und dann bringt Sim Tjong ihr letztes Wort vor dem Opfertod: „Buddha!“ Sie singt es auf den Ton es². Der Fixpunkt ist erreicht.[6] Sie springt ins Meer und steigt hinab in die Welt des Drachenkönigs. Das Furioso des Orchesters steigt abermals.
Die nächste Szene beginnt mit einem Orchestervorspiel und leitet in das Reich des Drachenkönigs ein. Die Klänge sind träge und es gibt keine Konturen, und auch die Stimmen der fünf Bräute stechen nicht heraus sondern bleiben unnahbar. Der Drachenkönig selbst wird von fünf Solo-Bässen gesungen, deren Stimmen nahe wie ein Cluster liegen. Der Gegensatz zum Drachenkönig ist die Erscheinung der himmlischen Mutter Ok-Tjin, deren 67 Takte umfassende Arie, in der sie Sim Tjong in eine Lotosblüte verwandelt, von Streichern und hohen Holzbläsern begleitet wird.
Der zweite Akt beginnt mit der Spielszene, in der die Seemänner dem Kaiser die Lotosblüte überbringen. Die Musik, die in dieser Szene eine Begleitfunktion hatte, intoniert sie eine ruhige Arie, in der der Kaiser die Blüte anspricht. Diese öffnet sich und Sim Tjong kommt zum Vorschein und ihre Begegnung lässt ihre Liebe erwachen, welche in einem Duett ihren Höhepunkt findet. Diese intime Stimmung wird durch einen turbulenten Chor unterbrochen, der auf die nächste Szene vorbereitet. Als Gegenstück der reinen Liebe zwischen dem Kaiser und Sim Tjong folgt die Szene, in der Paengdok dem Blinden vorlügt, sie erwarte ein Kind von ihm. Je mehr Sim den Betrug durch Pangdok erkennt, gewinnt auch die Musik einen bedrückenden Charakter. Als Sim schließlich Paengdok aus dem Haus prügelt, unterstreichen blitzartige Akzente zwischen den Atempausen des dramatischen Sprechgesanges diesen tumultartigen Rauswurf. Diese Stimmung auch weiter an, als Sim in einem verzweifelten Monolog seine Verfehlungen eingesteht. Der Chor leitet zum letzten Szenenbild der Oper über. Am Kaiserhof wird Sim bereits vom Kaiser und Sim Tjong erwartet. Yun setzt hier Elemente der koreanischen Hofmusik ein: starre Töne, die zu immer stärkerem Vibrato ausschwingen, Halteklänge und ornamentale Figuren, sowie die eigenartige Technik der aus der Imitation einer Führungsstimme sich bildenden Mehrstimmigkeit.[7] Der sängerische Höhepunkt des zweiten Aktes ist die Arie des Sim. Er gesteht die Verfehlungen seines Lebens ein. Nach 60 Takten erreicht sie den Gipfelpunkt mit den Worten: „Als Braut von In-Dang-Su fand sie im Meer den Tod. Ich ließ es zu. So ist der Tod mein Urteil.“ (악보39)
Sim Tjong tritt an ihren Vater heran und berührt seine Augen. Während das Wunder einsetzt und Sim sein Augenlicht zurückgewinnt, akzentuiert das Orchester diese Szene musikalisch. Mehr und mehr strömt das Vol herbei, das von diesem Wunder gehört hat und selbst auf Erlösung hofft. Die Bühne weitet sich als Zeichen der Offenheit und klingt noch der Sopran der erschienenen Himmelsmutter Ok-Tjin über dem Chor, so übertönt allmählich der Jubel der Himmlischen und des Volkes am Ende die Stimme des Kaisers, Sim Tjongs und des erlösten Sim. Ein Akkord, der sich über den gesamten Klangraum des Orchesters erstreckt, beendet die Oper.
5. Zusammenfassung
Zusammenfassend sei gesagt, dass Yun gerade was seine Opern betrifft meist nach den Wünschen der Auftraggeber gegangen ist. Jedoch zeigt gerade bei seinen Operwerken, dass er sehr wohl seine eigenen Vorstellungen und Prinzipien durchsetzen konnte. Gerade bei seinem Erstlingswerk setzte er, gegen den Willen der Auftraggeber, eine Oper mit koreanischer Hintergrundgeschichte gegen eine zeitgenössische Variante des japanischen Nô-Theaters durch. Seine zweite Oper schrieb er zwar in politische Gefangenschaft und man sollte meinen, dass er nach diesem Erlebnis auch Groll gegen sein eigenes Heimatland hegen würde, doch verabscheute er nicht sein Land, sondern nur die Diktatur, die sein Heimatland, für das er lange während der japanischen Besatzung gekämpft hatte, in den Abgrund führte. Nicht nur sein letzte Oper Sim Tjong ist gänzlich verbunden mit der koreanischen Geschichte, sondern die Gestaltung jedes Tones mit ihrem Festhalten am Ideal ostasiatischer Musik zeugt von seiner tiefen Verwurzelung in der nationalen Kultur.
Yun hat öfter auf Verbindungen seiner Musik zu der Musik Koreas hingewiesen, indem er über die Ähnlichkeiten im Tonverlauf gesprochen und geschrieben hat. In seinen Opern verwendet er nicht nur sino-koreanische Motive, sondern integriert bewusst auch ostasiatische Instrumente, Rhythmen und Harmonien. Aber auch dramaturgisch spielt die asiatische Kultur in seinen Opern eine wichtige Rolle. So lässt man Frau Tiän mit Absicht keine Arie mit einer eindeutigen Liebeerklärung singen, wie es in den klassischen Opern oft der Fall war, da die einfach nicht der asiatischen Gesellschaft entsprechen würde. Als Sänger liegt die Herausforderung darin, den Grad zwischen europäischer und asiatischer Kulturgeschichte zu finden. Als asiatischer Sänger liegt die Kunst darin, die vertrauten heimischen Rhythmen, Harmonien, Instrumente und Grundlagen einen europäischen Hauch zu verleihen, um sie auch für europäische Bühnen kompatibel zu machen, und das selbe gilt für den umgekehrten Fall.
6. Anhang
Folgendes Interview wurde von Rainer Sachtleben (im Folgenden mit S. abgekürzt) und Wolfgang Winkler (mit W. abgekürzt) mit Isang Yun geführt. Das Gespräch fand in Berlin-Kladow am 19. Juli 1986 statt.
S. Wir fanden in dem Buch von Luise Rinser eine wunderbare und auch abgründige Geschichte. Sie berichtet, wie Sie im Gefängnis in Seoul auf die Frage des Spiegel-Reporters, ob Sie freiwillig nach Korea gegangen seien, geantwortet haben: Ja, aber ich will ganz schnell nach Deutschland zurückkehren, denn ich muss dringend meine Steuererklärung machen.
Y. Ich hatte keine andere Möglichkeit, anzudeuten, dass ich nach Deutschland zurückkommen möchte. Ich war umgeben von strengsten, schärfsten Beobachtern - Geheimpolizisten: Sie waren wie Dämonen, Angst machend. Auch der Gefängniswärter war dabei. Ich konnte nicht offen sagen, dass ich entführt worden war, sonst wäre ich, wenn der Gast war, wieder einmal gefoltert worden. So hatte ich diese Idee, das hat Signalwirkung gehabt.
W. Ich habe das auch so verstanden, dass es eine indirekte politische Aussage war, dass Sie mit dieser Erklärung einen Appell an die Bundesregierung gerichtet haben: Ich bin gegenwärtig Bürger der Bundesrepublik, und hier wird eine Sorgepflicht der Bundesregierung nicht erfüllt.
Y. Damals wurde von meinem Freund Francis Travis veranlasst, dass ein Beobachter vom Hauptsitz des Roten Kreuzes aus der Schweiz geschickt wurde, um meinen Gesundheitszustand zu prüfen. Er kam zum Gefängnis, ins Zimmer des Direktors, und ich wurde dorthin geholt. Viel Geheimpolizei war da, und in deren Anwesenheit musste ich mich ihm erklären: Ich habe nur gesagt, ich spucke sehr viel Schleim, und dieses Wort allein schon signalisierte ihm, dass ich nicht gesund war. Danach hat er nicht mehr verlangt, meine Gefängniszelle zu besichtigen, er hat nur noch oberflächliche Fragen gestellt. Es war sehr kalt, es gab keine Heizung, und die Fensterscheiben waren kaputt. Im Winter in Seoul wird es minus zehn, minus fünfzehn Grad, und ich war so krank.
W. Es ist nicht die erste Erfahrung einer politischen Haft, die Sie gemacht haben. 1943 wurden Sie von der japanischen Polizei verhaftet und ebenfalls gefoltert. Gibt es, nach Ihren Erfahrungen, eine zunehmende Brutalität in diesen Gefängnissen oder sind es die alten Methoden?
Y. Es scheint mir so, dass die südkoreanische Geheimpolizei, oder allgemein die Polizei, die die Verhöre und Folterungen macht, von der japanisches Polizei gelernt hat, und nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Koreaner, die zuvor japanische Beamte waren, meistens von der US-amerikanische» Besatzungsmacht übernommen worden. Es gibt heute noch raffiniertere Methoden, Elektroschocks, und auch grelles Licht in die Augen, sodass man nicht schlafen kann. 1943 aber gab es doch auch grausame Foltern»-
gen - ich bin geschlagen worden und war tagelang in einem Loch, wo ich nicht schlafen konnte, aber nicht so schlimm wie 1967 in Seoul.
W. Könnten Sie die Foltern, die Sie erlitten haben, schildern?
Y. Es ist für mich nicht angenehm, das wiederzuerinnern und zu erwecken. Ich war damals extrem herzkrank und konnte kaum die Reise, die Entführungsreise von West-Berlin nach Korea, ertragen, konnte mich kaum bewegen. Dann habe ich zwei, drei Stunden in einem Einzelzimmer gewartet, und danach begannen sie mich zu schlagen. Zwei Tage lang haben sie mir ein feuchtes Tuch aufs Gesicht gepresst und Wasser darüber geschüttet. Ich konnte kaum atmen, und so wurde ich sechs-, siebenmal ohnmächtig. Dann kam ein Arzt von der Folterabteilung und gab mir Spritzen, damit ich wieder wach wurde.
Ja und heute - ich habe zwar große Demonstrationen gegen Foltern gesehen, aber die Proteste haben ganz wenig Wirkung. Der jetzige Machthaber Chun Doo-hwan war in Europa zu Gast und hat von vielen Seiten vorsichtige Mahnungen bekommen. Trotzdem - die Lage ist schlimmer geworden seit den Aufständen 1980.
Das Volk hatte immer gehofft, dass es irgendwann einmal besser würde mit der politischen Diktatur, aber es wurde immer schlimmer: die Militärherrschaft und nach dem Diktator Park jetzt ein neuer Diktator [Chun Doo-hwan], der auch vom Militär kommt. Das Militär hat die absolute Macht. Deshalb erkennen die Studenten, die die Weltlage genau sehen, daß es so nicht weitergehen kann. Sie protestieren, sie werden verhaftet, gefoltert, entlassen und an die Demarkationslinie zu Nordkorea, an die »Front« geschickt, und werden dort wieder von ihren Vorgesetzten geschlagen, gefoltert und sogar erschossen, oder sie verschwinden spurlos.
W. Damit es so aussieht, als seien sie von den Nordkoreanern erschossen worden.
Y. Ja. Sehen Sie, die Studenten - jeden Monat eine Selbstverbrennung oder ein Sturz aus dem Fenster des Gefängnisses oder Universitätsgebäudes. Das sind Zeichen. Heute wäre eine Intervention von außen so notwendig. Aber die amerikanische Regierung, sie tut nichts. Neulich war sogar der Außenminister Shultz in Südkorea und resümierte, dass die Regierung dort doch sehr bereit scheine, die Demokratisierung voranzutreiben. Das Gegenteil ist zutreffend.
W. Sie leben seit dreißig Jahren in Europa, kennen auch ganz gut die politisch-ideologische Denkweise der Europäer. Was wäre eine Vorgehensweise, auf diese Verhältnisse in Südkorea einzugehen und schärferen Druck auf die Außenpolitik z. B. der EG auszuüben?
Y. Ich hoffe dringend, dass die europäischen Regierungen irgendeinen konkreten Beschluss fassen. Wenn, wie ich fürchte, ausgehend von Korea die Gefahr eines dritten Weltkrieges besteht, dann muss die ganze Welt dafür sorgen, die Konfrontation, die gespannte Lage in Korea zu mildern. Und sicherlich müssen zuerst die Amerikaner zur Besinnung kommen, damit sie nicht noch einmal philippinische Verhältnisse erleben. Unter der Schwelle des »normalen« wirtschaftlichen Lebens wächst der Protest, so dass es eines Tages eine wirkliche Eskalation geben könnte. Und an der nord-südkoreanischen Grenze gibt es über tausend US-Atomsprengköpfe ... ein Pulverfass.
W. Wie ist heute das japanisch-koreanische Verhältnis?
Y. In Korea wurden die alten Kollaborateure, faule, machtgierige Beamte, Polizisten und Soldaten, wieder berufen. Die alte Kolonialherrschaft wurde bewusst weiter getragen. Heute ist Südkorea politisch und wirtschaftlich wie ein Kolonialland, abhängig von den USA und Japan.
Y. Wie weit ist für mich Korea, oder wie nah ist Korea für mich von Beruft aus? Mit dieser Frage lebe ich täglich, beim Komponieren, beim Denken. beim Erinnern. Korea ist wirklich sehr, sehr weit. Trotzdem habe ich es keine Minute vergessen. Denn diese räumliche Entfernung ist, besonders für einen Asiaten, so flexibel und so leicht zu verkürzen, weil die Asiaten eine große intuitive Kraft haben. So sind für mich dreißig Jahre vergangen, aber die Erinnerung, wie ich dort gelebt habe, ist wie von gestern, so klar und so frisch. Korea ist verändert, die Städte, die Menschen, vielleicht die Kultur, das habe ich nicht gesehen. Trotzdem bin ich nicht unglücklich, nicht unzufrieden, dieses alles nicht erlebt, nicht gesehen zu haben. Auf alles in der Zeit, in der ich nicht da war, kann ich verzichten. Was kostbar ist, das Herz, die Landschaft, die alte Kultur... damit lebe ich, von der alten Erinnerung meiner Jugendzeit. Meine musikalische Quelle entspringt dort. Insofern ist Korea so weit und trotzdem so nah.
W. Ist es Ihnen gelungen, zu Europa, zu West-Berlin, weil das hier jetzt auch Ihre Zeit ist, ein Verhältnis zu bekommen?
Y. Wissen Sie, anfangs, als ich vor 30 Jahren hierher ging, kam ich nach Paris. Das Pariser Leben war für mich sehr fremd. Deutschland war dann für mich als Asiaten ein bisschen sympathischer. Hier habe ich Freunde gewonnen durch die Musik. Ich habe jetzt zwei Lebensbasen, eine koreanische, die vorwiegend in Erinnerung besteht, und eine reale, die hier in Europa ist. Ich bin inzwischen fast ein Europäer geworden; Essen, Denkweise, Logik sind selbstverständlich geworden, auch die deutsche Öffentlichkeit, die auf einer soliden Humanitätsbasis steht. Natürlich hoffen junge deutsche Menschen auf Besseres. Aber wer so schlimme Sachen erlebt hat wie ich, immer unter Diktaturen, genießt hier eine gewisse Freiheit; und das ist sehr wichtig für die Arbeit und das Leben.
W. Bevor Sie nach Europa gegangen sind, welche Vorstellung hatten Sie von Europa, welches Bild hatten Sie von der europäischen Musik, deren Kompositionstechniken Sie studieren wollten?
Y. Was ich in Südkorea an Musik gehört habe, ging nur bis Richard Strauss. Schönberg, die Zwölftontechnik hatte ich studiert. Aber wenn ich von »europäischer Musik« sprach, dann von der alten klassischen Musik: Mozart, Bach, Brahms, Schumann. Als ich in der Jugend diese Musik gehört habe, habe ich gedacht, dass es eine märchenhafte Welt sei in Europa, denn ich hatte nur die Bilder von den Perücken und alten Meistern gesehen, alte Kleidung, prunkhafte Schlösser und Musiksalons. Natürlich hatte ich auch moderne Städtebilder gesehen. Aber trotzdem, prägend waren die Bildeindrücke aus der Jugendzeit. Als ich Mozarts und Beethovens Geburtshaus besuchte, überraschte mich dann doch die Tatsache, dass sie, die alten Meister, auch keine Götter aus den Märchen sind, sondern Menschen. Menschen, die gelebt haben, die in Schuhen gelaufen sind, und auch ab und zu in den Laden, um Brot zu holen.
W. Für Sie war in der Kindheit das Erlebnis der Schamanen sehr wichtig. Es gibt dort in der Musik eine Kosmologie; die Seele wird mittels der Musik durch den Raum transportiert und geheilt. Das ist ja eine ganz andere Erfahrung als unsere europäische Musikdramatik, die ist innerpsychisch und nicht kosmologisch orientiert.
S. Erstaunlich ist auch, wie Sie Bereiche der Kultur, in der Sie aufgewachsen sind, mit den Mitteln der stark logifizierten westlichen Kompositionstechnik ausdrücken. Ich denke, dass das, was durch Ihre Kompositionsmittel aber an asiatischer Kultur durchscheint, eine Herausforderung sein könnte für den Europäer, ein nicht allein logisch-technisches Verhältnis zurzeit zu bekommen.
Y. Die Technik, die ich verwende, ist natürlich eine Bildungssache von der Klassik bis heute. Dabei habe ich die Technik herausgenommen, die zu meiner Musiksprache passt. Nicht zufällig beginnt meine musikalische Entwicklung in Europa in den 60er Jahren: »Klangkompositionen« wie bei Ligeti, Penderecki waren für mich ein willkommener Anlass, erst einmal die Logik der alten Satztechnik in mir zunichte zu machen und meine Existenz als Komponist neu zu begründen.
S. Es gab vom europäischen Bewusstsein her also schon eine gewisse Öffnung. Sie sind dann ganz anders weitergegangen.
Y. Das eine war die Technik. Dann aber habe ich meine eigene Musiksprache weiterentwickelt. In der alten koreanischen Musik gibt es sehr klare lineare Merkmale, das Kreisen um einen Ton, seine Umgebung; und da gibt es einen linearen Verlauf, eine Periode, das habe ich damals Hauptton genannt. Natürlich habe ich konkretisiert, was in der koreanischen Musik schon seit Jahrhunderten angelegt worden war. Ich habe versucht, diese Sprache lebendig zu machen. Also nur aus Klangflächen konnte meine Musiksprache nicht realisiert werden. So entstand die Orchesterkomposition Réak, die zwar Klanggruppierungen aufweist, die im Einzelnen sich bewegen, aber doch eine Gruppensprache, also eine neue Sprache spricht. Innenstrukturen wie Gruppensprache fließen dann in der ganzen Orchesterpalette zusammen, um noch mehr, eine weitere Klangsprache zu realisieren.
W. Wenn Sie von Sprachnähe sprechen, so ist das wohl auf doppelte Weise zu verstehen. Einerseits ist die Musik als Medium eine eigene Sprache. Aber Sie haben auch oft gesagt, dass die traditionelle, sei es sakrale oder profane Musik Koreas, niemals »absolute« Musik gewesen ist, sondern immer auch auf etwas Außermusikalisches hingewiesen hat, und insofern verstehen Sie das Wort Musiksprache auch noch in einem zweiten Sinn.
Y. Ich meine nicht eine Sprache, die assoziativen Charakter hat, sondern Ausdruckskraft: meist eine strenge, feierliche Atmosphäre von Anfang bis Ende, den ganzen Verlauf von einzelnen Strömungen, die dann zusammenfließen, verschiedene Klanggruppierungen, Figuren, die aneinandergereiht werden.
W. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass die traditionelle koreanische Musik sich an die Aussprache der Worte, auch an chinesische Dichtung, anlehne. Kann man sagen, es gebe eine Übersetzung des literarischen Vortrags in Musik, dass sozusagen die Zunge ersetzt wird durch das Musikinstrument?
Y. Nein, das Wort ist eine vollkommen andere Welt.
W. Kann man das so verstehen, dass das Wort als Klang noch einen anderen Inhalt hat als die Bedeutung des Wortes, so wie bei einem chinesischen Schriftzeichen?
Y. Alte asiatische Musik wird kaum noch gesungen, sondern vor allem instrumental aufgeführt. Ganz früher waren die Instrumente wahrscheinlich eine Nachahmung der Stimme. Aber mit der Entwicklung der Instrumentalmusik entfernte sich diese davon. Es gibt auch eine Musik, die nicht zu höfischen Anlässen gespielt wurde, sondern - auch von den Adligen oder den höheren Schichten - gesungene Musik ist. Da wird das Wort als selbständige Dichtung betrachtet. Es gibt eine Kategorie von Gesangsmusik, z.B. kagok oder kasa: die Melodie ist selbständig, die passenden Worte wählt man.
W. Dass Ihre Musik eine Art Programmmusik sei, weil es ja keine absolute Musik ist, kann wohl nur ein Missverständnis sein, das auf der unzureichenden Kenntnis der Tradition ostasiatischer Musik basiert?
Y. Schon in der alten höfischen Musik gibt es kaum Programmmusik. Tori wie z.B. »Das Leben, verwaltet vom Himmel« oder »Strahlendes Sonnenlicht« existieren zwar, aber das besagt nicht viel. Damals musste ein Musikstück eben irgendeinen gesunden, optimistischen, dem Kaiser gefälligen Titel haben. Ich habe bis Mitte der siebziger Jahre etwa in dieser Art komponiert: Ich habe einen Titel genannt, der aber mit dem musikalischen Inhalt wenig zu tun hat. Und ich habe auch nie exakte Titel genommen, sondern etwas Symbolhaftes. Réak z.B. oder Gasa, das ist der Name der Gesangsart. Diese Titel bezeichnen vage den musikalischen Inhalt. Aber seit Mitte der siebziger Jahre habe ich eine ganze Reihe von Instrumentalkonzerten geschrieben. Ich hatte beschlossen, meine politische Erfahrung in meinen Kompositionen umzusetzen. Dafür brauchte ich eine Musiksprache, die Humanität hat. So habe ich Märchenstoffe gewählt, z.B. im Flötenkonzert eine Nonne, die nachts im Mondlicht tanzt; auch fürs Doppelkonzert, wo es um die Teilung Koreas geht. Und dann mein Cellokonzert, das ist auch die Realität meiner Gefangenenzeit, hat mit Leben und Tod zu tun, und wirklich, die Musik befasst sich mit diesen Sachen. Was ist der Tod, was ist das Dasein, was Herkunft? Schließlich eine Reihe mit Texten von Nelly Sachs, auch die Opern, das sind alles Erfahrungen der Dichter, die meine Erfahrungen sind.
S. Morton Feldman hat in Darmstadt von der klassischen Musik einmal gesagt, sie höre sich selbst, brauche eigentlich keinen Zuhörer. Was er damit andeuten wollte, war der formale Legitimationszwang der klassischen Musik, der bis zur seriellen Musik reicht. Ihre Musik aber braucht den Zuhörer. Mich interessiert, was von dem Reichtum an spannenden Dingen, die die Töne, die sie komponieren, miteinander machen, zur Komplexion Ihrer Partituren gehört.
Y. Aha, ja das ist eine sehr schwierige Frage, die ich sehr schwer beantworten kann. Das geht in das Geheimnis meiner Kompositionen. Ich wollte vorhin schon ein bisschen erläutern: Was veranlasst meine Ideen und ihre Umsetzung in Noten? Die Musik selbst, wenn sie geschrieben ist, ist frei von der Entstehungsgeschichte. Aber ganz lächerliche Dinge können in meiner Musik eine große Situation erzeugen. Als Kind habe ich in der Nacht die Fischer gehört, die ihre Netze einholten. Wenn sie die Fische springen sehen, werden ihre Stimmen aufgeregter, der Rhythmus wird schneller. Diese Erinnerung kommt mir manchmal, wenn ich Chormusik schreibe, diese Aufregung, diese Steigerung... Ich höre diese Fischer, die Musik ist nicht gleich, aber ein Funke springt über in meine musikalische Welt. Oder wenn ich z. B. vom Fenster aus zwei Zweige sehe, die sich im Winde bewegen und sich zitternd berühren... da... das Geigenduo [Sonatina]... zwei sehr dissonante Intervalle kreuzen sich gegenseitig. Solche Sachen, Winzigkeiten im Visuellen, werden sofort von meiner musikalischen Antenne aufgefangen und in Akustisches verwandelt. Oder Gerüche z. B., wenn ich früher im Tempel war oder die Menschen an heißen Sommertagen ihre Räucherstäbchen verbrannten. Dieser Duft blieb in mir, und das tut mir so wohl, dass da auch ein Klang entsteht. Natürlich gehören hierzu auch akustische Klänge selbst, im Tempel die Gongs, diese riesengroßen Tam-Tams.
Ich schreibe die Musik nicht von der Materie, sondern von der Intuition her. Ich schreibe nicht eine Melodie oder ein Thema. Und ich verarbeite nicht musikalisches Material und gehe dann her und verlängere oder verkürze. Ich brauche den musikalischen Fluss. Dafür brauche ich eine sehr lange Konzentration in meinem Kopf. Zuerst taucht das Problem auf: Welche Art von Musik soll ich schreiben? Eine humane Musik oder eine intellektuelle Musik oder nur technische Musik, wie Fluktuationen, oder eine farbliche Musik auch mit logischer Bedeutung wie Images oder eine zeremonielle Musik. Dann, wenn ich das geschafft habe, dann muss ich formulieren. Ich formuliere tagelang, wochenlang, and wenn es mir klar ist, beginne ich sofort von Anfang an. Der Anfang ist schwer natürlich, zehn Takte, zwanzig Takte, immer wieder lese ich sie von neuem, sehr selten radiere ich. Dann schreibe ich weiter, immer weiter, zwanzig Sekunden bis zu einer Minute täglich; mit einer Pause arbeite ich sechs, sieben Stunden lang.
S. Sie hören es dann immer wieder?
Y. Nicht nur hören, sondern auch...
W. ...fühlen.
Y. Ja, ich fühle Musik genau wie eine Aufführung. Es geht nahtlos. Dabei spielt die Dynamik eine große Rolle. Ich dynamisiere so exakt, es bleibt kein freier Raum mehr. Die Dynamisierung selbst ist so eine lebendige Sprache. Die Lebendigkeit des musikalischen Inhalts wird dann sukzessive weiter gesteigert. Dann geschieht wieder Fallen und wieder Steigen. Und bei dieser Gravitation zwischen Polen gibt es Spannung und Entspannung und wieder Spannung. Wie ich baue, dass der Mensch keine Sekunde hat zu ruhen, sondern er gezwungen wird, mit dieser Musik mitzugehen, das ist sozusagen ein Geheimnis. Mein Geheimnis liegt darin. dass die Phrasierung und Dynamisierung pausen- und nahtlos ist. Es gibt natürlich Pausen im Technischen, äußerlich auch Sätze, aber ich glaube. das Werk ist von Anfang bis Ende ein Stück.
S. Wie würden Sie den Unterschied zwischen Verzierung im traditionell-europäischen Sinn und Ihren Verzierungsarten beschreiben?
Y. Verzierung in der europäischen Musik ist ein Ton, der von einem momentanen Impuls bekräftigt wird. Das aber geht in meiner Musik über einen halben Takt, über zwei, drei Takte, ich nenne das »Umspielung«. Diese Umspielung zielt darauf, den nächsten Ton lebendig zu machen. In der altkoreanischen Musik gibt es keine Harmonik, keinen Kontrapunkt, keine Perspektive durch Struktur, sondern nur den Einzelton, und der ist das Leben selbst. Er muss alles unternehmen, um weiterzuleben, weiter, weiter. Das ist ja eine Notwendigkeit. Mit diesem Gestaltungsmittel muss ich sehr differenziert umgehen, mit Konzentration. Ich kann es so beschreiben: Es ist wie bei der Schlange, die auf dem Wasser schwimmt: im Kopf liegt das Ziel, die Welle gehört natürlich dazu. Und da meine Musik ein monistisches Strömen ist, muss sie, konzentriert wie ein Pfeil, ihre Kraft immer weiter und weiter tragen.
W. Sie sagen, Sie schreiben humane Musik. Das wird hierzulande ja häufig missverstanden...
Y. Ich bin mir immer noch nicht klar, welches Wort ich benutzen soll... Menschlichkeit!
W. Mir ist das manchmal in den sechziger und frühen siebziger Jahren auf die Nerven gegangen, wie jeder Komponist seine politische Überzeugung durch seine Musik ausdrücken wollte, also von Nono bis Henze. Ich fand das immer ein bisschen aufgesetzt. Wenn das in der Musik enthalten ist, meine ich, dann braucht man es nicht noch zu sagen.
Y. Ich glaube nicht, daß Musik für Politik als Instrument dienen soll, aber spontan vom Komponisten, als Bedürfnis, als Wille, durch seine klanglichen Mittel wirklich etwas auszudrücken, seine Meinung zu äußern, seinen Geist reflektierend darzustellen - in diesem Sinn ist das Politische legitim. Ich neige immer dazu, mit meiner Musik die Menschen anzusprechen, an die Gesellschaft zu appellieren, zu warnen. Zugleich aber muss meine Musik als Musik auch ohne das bestehen können. Bis heute habe ich nur ein einziges Mal ein Stück geschrieben aus einem konkreten politischen Anlass. Bei Exemplum in memoriam Kwangju ist der politische Appell entscheidend. Als Komponist, als Koreaner, fühlte ich mich verpflichtet, diese unmenschliche, barbarische Tat durch Musik zum Ausdruck zu bringen und an die Menschheit zu appellieren, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Ich habe andere Dinge beiseite gelegt, nur um mein Gewissen mit musikalischen Mitteln auszudrücken. Wie man über das Stück urteilt, ist mir egal. Ich bereue es bis heute nicht. Es gibt von mir seit Mitte der siebziger Jahre Stücke, die politische Inhalte haben, aber ohne politische Vorstellungen können die Stücke auch existieren. Meine I. Symphonie ist ein Appell, eine Warnung vor der atomaren Kriegsgefahr, vor der Zerstörung, vor dem Weltuntergang. Aber sogar, wenn man die Musik ohne diese Vorstellungen hört, dann merkt man, dass der Komponist im 1. Satz irgendetwas Extremes, Gewaltiges, Zerstörungsvorstellungen im Sinne hat. Fast sentimentale Erinnerungen im 2. Satz, der 3. Satz eine groteske tänzerische Musik, und der 4. Satz wiederum eine massive Mahnung.
W. Es ist ein großer Unterschied, als Komponist auf ein Massaker zu reagieren, oder politische Inhalte zu vertonen. Letzteres würde bedeuten, dass man eine Zeitung in Tönen schreibt, die man morgen wegschmeißt. Die hat kein Leben, eine politische Meinung wird morgen anders sein.
Y. Aber Picasso, La Guernica!
W. Am Anfang oder Ende besteht die Politik jeweils auf neue Weise. Damit kommen wir auf taoistische Vorstellungen der Bewegtheit in der Unbewegtheit, Veränderlichkeit in der Einheit. Das ist sicherlich etwas, was ein Großteil von Europäern auch im eigenen Denken und Meditieren anregt.
Y. Ich habe nicht stark empfunden, dass die Europäer Anstrengungen unternehmen, dieses taoistische Denken zu verstehen. Sie nehmen es nur zur Kenntnis. Aber das ist etwas vollkommen anderes, als sich wirklich mit der anderen Kultur zu beschäftigen, oder gar zu versuchen, danach zu leben. Ich glaube, diese Denkweise werden die Europäer vielleicht nach langer Zeit erst verstehen. Der Taoismus existiert ja auch in Asien seit fünfzehn Jahrhunderten als Basis des Denkens. Im 7. Jahrhundert begann er als Volksreligion und wurde von China aus weiter verbreitet. Der Taoismus als Philosophie entstand noch früher, schon bei Lao-Tse und Dschuang-Tse. Diese mehr als zweitausend Jahre, das ist keine kurze Zeit. Und hier - in ein paar dutzend Jahren - kann man nichts Eigenes machen. Ich erlebe tagtäglich diese Unterschiede zwischen Europäern und Asiaten. Die Asiaten, die ärgern sich z.B. nicht sofort, zuerst nehmen sie auf und dann: Ausgleich, sie werden dann diese zwei Pole, die von selbst entstehen. Diese Gefühlsausbrüche, die ich hier im Schauspiel oft gesehen habe: sie schreien so laut, wenn ihnen etwas nicht passt, oder z.B. vor einer Hinrichtung, der Verurteilte, der schreit und versucht noch wegzulaufen. Das ist für einen Asiaten nicht möglich. Wenn der Asiate erkennt, dass seine Todesstunde gekommen ist, dann nimmt er es hin, das ist die Natur, in jedem Leben ein Ausgleich...
W. Aber dennoch ist es möglich, auch als Europäer etwas von diesem Ausgleich in Ihrer Musik zu hören?
Y. Sehen Sie, wenn ich eine Möglichkeit hätte, meine Musik als Europäer zu hören, das würde mich so interessieren - aber ich habe sie nicht, ich bin immer ein Asiate. Oft hat man geschrieben, meine Musik sei fremdartig für europäische Ohren usw. Ich glaube, das ist nicht ganz richtig. Was für Normalhörer fremd ist an meiner Musik, das hat zu tun mit Atonalität. In meiner Musik bis zur Mitte der siebziger Jahre waren die atonalen Elemente stärker; erst seitdem, um der Sprache mehr Menschlichkeit zu geben, habe ich diese atonale Tonauswahl möglichst reduziert, und oft stehe ich an der Schwelle zwischen Atonalität und Tonalität. Es gibt natürlich nie echte Tonalität, und nie Dodekaphonie - die habe ich schon ganz am Anfang verlassen. Was dem Normalhörer fremd ist an meiner Musik, ist also erst einmal das Atonale und dann das Rhetorische, diese Artikulationsmöglichkeiten, die durch Klangschwebungen, durch Umspielungen und so weiter entstehen und zu meiner Musiksprache gehören. Aber selbst das ist nicht erst in meiner Musik so. Schon Debussy war reichlich ornamental und »vernebelt«, wenn man so sagen darf. Außerdem, ich schreibe nicht für asiatische Instrumente. Ich glaube, meine Musik kann man hören, wie man die moderne Musik hören kann bis Schönberg, Strawinsky, Bartók, nicht einmal unbedingt bis zum frühen Stockhausen. Was aber konkret meine Musik beinhaltet, die stilistischen Elemente, da muss man schon untersuchen, woher das alles kommt.
[1] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S.121
[2] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 124
[3] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 127
[4] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 128
[5] Heister/Sparrer: Der Komponist Isang Yun. S. 131
[6] Komponist S.133
[7] Komponist S. 136
Operas
- Der Traum des Liu-Tung (1965)
- Die Witwe des Schmetterlings (Butterfly Widow) (1967-1968)
- Geisterliebe (1971)
- Sim Tjong (1971-1972)
Orchestral
- Symphonies
- Bara, for small orchestra (1960)
- Symphonic Scenes (1960)
- Colloïdes sonores, for strings (1961)
- Fluktuationen (1964)
- Réak (1966)
- Konzertante Figuren, for small orchestra (1971)
- Harmonia, for 16 winds, harp & percussion (1974)
- Muak (1978)
- Exemplum in memoriam Kwangju (1981)
- Impression for small orchestra (1986)
- Mugung-Dong (Invocation) for winds, percussion and double bass (1986)
- Tapis, for string quintet or string orchestra (1987)
- Konturen (1989)
- Silla (1992)
Concertante
- Violin Concerto No. 1 (1981)
- Violin Concerto No. 2 (1983-1986)
- Violin Concerto No. 3 (1992)
- Cello Concerto (1975-1976)
- Flute Concerto (1977)
- Clarinet Concerto (1981)
- Double Concerto for Oboe, Harp, and Chamber Orchestra (1977)
- Fanfare and Memorial, for harp and orchestra (1979)
- Gong-Hu, for harp and strings (1984)
- Dimensionen, for organ and orchestra (1971)
- Duetto concertante, for oboe, English horn, and strings (1987)
- Concerto for Oboe, Oboe d'amore, and Orchestra (1990)
Chamber/Instrumental
- Five Pieces for Piano (1958)
- Music for Seven Instruments (1959)
- String quartet no. 3 (1959)
- Loyang (1962)
- Garak (1963)
- Gasa (1963)
- Nore (1964)
- Shao Yan Yin for Cembalo (1966)
- Images (1968)
- Riul (1968)
- Piri for oboe solo (1971)
- Piano trio (1972–5)
- Trio for flute, oboe & violin (1973)
- Etude for flute solo (1974)
- Rondell (1975)
- Duo for viola & piano (1976)
- Pièce concertante (1976)
- Königlisches Thema for violin solo (1976)
- Octet for winds (1978)
- Sonata for oboe & oboe d'amore, harp, viola/cello (1979)
- Novellette (1980)
- Concertino for accordion & string quartet (1983)
- Inventionen for 2 oboes (1983)
- Sonatina for 2 violins (1983)
- Monolog for Bassoon for solo bassoon (1983)
- Clarinet quintet (1984)
- Duo for cello & harp (1984)
- Inventionen for 2 flutes (1984)
- Flute quintet (1986)
- Quartet for 4 flutes (1986)
- Rencontre for clarinet, cello & harp (1986)
- In Balance for harp solo (1987)
- Tapis for string quintet or string orchestra (1987)
- Contemplation for 2 violas (1988)
- Distanzen for woodwind & string quintets (1988)
- Festlicher Tanz, wind Quintet (1988)
- Intermezzo for cello & accordion (1988)
- Pezzo fantasioso for 3 instruments (1988)
- Quartet for flute, violin, cello & piano (1988)
- String quartet no. 4 (1988)
- Rufe for oboe & harp (1989)
- Together for violin & double bass (1989)
- Kammerkonzert no. 1 (1990)
- Kammerkonzert no. 2 (1990)
- String quartet no. 5 (1990)
- Sonata for violin & piano (1991)
- Wind Quintet (1991)
- Espace I for cello & piano (1992)
- Quartet for horn, trumpett, trombone & piano (1992)
- String quartet no. 6 (1992)
- Trio for clarinet, bassoon & horn (1992)
- Chinesische Bilder for recorder solo (1993)
- Espace II for oboe, cello & harp (1993)
- Clarinet Quintet no. 2 (1994)
- Ost-West-Miniaturen for oboe & cello (1994)
- Oboe quartet (1994)
- Wind Octet (1994)
Vocal/Choral
- Om mani padme hum (1964)
- Ein Schmetterlingstraum (1968)
- An der Schwelle (1975)
- Der weise Mann (1977)
- Der Herr ist mein Hirte (1981)
- O Licht... (1981)
- Naui Dang, Naui Minjokiyo! (My Land, My People) (1987)
- Engel in Flammen (1994)
- Epilog (1994)
Chung, Hyun-Ju: Isang Yuns Oper Träume. Seoul 1999.
Dümling, Albrecht: Zerstörte und wieder gefundene Schönheit. Zwei Symphonien von Henze und Yun in Berlin aufgeführt. In: Neue Musikzeitung Bd. 34, Heft 1. (1985) S.6
Heister, Hanns-Werner; Sparrer,Walter-Wolfgang (Hg.): Der Komponist Isang Yun. Edition text + kritik GmbH , München 1987.
Kim, Hyun-Jung: Isang Yuns Oper Sim Tjong. Seoul 2000.
Lee, Ji-Young: Isang Yuns Oper Sim Tjong. Seoul 2002.
Metzger, Heinz-Klaus; Riehn Rainer (Hg.): Isang Yun. Die fünf Symphonien. Musik-Konzepte. Die Reihe über Kompositionen. Heft 109/110. München 2000.
Rinser, Luise; Yun, Isang: Der verwundete Drache. Dialog über Leben und Werk des Komponisten. Franfurt/Main 1977
Yun, Isang: Über meine Musik. Vorlesungen an der Salzburger Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Mozarteum, Salzburg. 1994.
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